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870'000 Tote im Jahr Einsamkeit macht krank – Blick auf einen leisen «Killer»

Jeder sechste Mensch weltweit ist von Einsamkeit betroffen. Einsamkeit könne psychisch und physisch krank machen, sagt die WHO. Sie erhöhe zum Beispiel das Risiko von Hirnschlägen, Herzinfarkten oder Diabetes, was jährlich zu 870'000 Todesfällen weltweit führe. Der emeritierte Psychologe Udo Rauchfleisch beschreibt die Einsamkeit als grosse Herausforderung unserer Zeit.

Udo Rauchfleisch

Psychotherapeut

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In seinem Buch «Einsamkeit – Die Herausforderung unserer Zeit» beschreibt Psychotherapeut Udo Rauchfleisch die Ursachen sowie die gesundheitlichen und sozialen Folgen von Einsamkeit und arbeitet anhand zahlreicher Beispiele die Möglichkeiten heraus, wie man mit Einsamkeitsgefühlen konstruktiv umgehen kann.

In der «Puls»-Sendung Einsamkeit – es kann jede und jeden treffen ist er als Experte aufgetreten und hat im Chat zur Sendung Publikumsfragen beantwortet.

SRF News: Wann haben Sie sich letztmals einsam gefühlt?

Udo Rauchfleisch: Ganz massiv, als die Pandemie uns alle getroffen hat. Ich habe gespürt, dass ich von vielem ausgeschlossen war und die Kontakte enorm eingeschränkt wurden. Im Leben gibt es bekanntlich immer wieder Situationen, wo Menschen Einsamkeit mehr oder weniger stark erleben, etwa bei Trennungen oder Todesfällen.

Was ist Einsamkeit?

Einsamkeit wird als Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Beziehungen definiert. Es geht nicht um die Anzahl von Menschen, die man trifft, sondern um die Qualität der Beziehung. Es ist ein subjektiver Eindruck, dass es zu wenig und nicht intensiv genug ist. Alleinsein dagegen ist etwas Quantitatives. Man kann hunderte Kontakte haben und sich trotzdem einsam fühlen.

Einsamkeit ist ein Dauerstress mit massiven Folgen für den Körper.
Autor: Udo Rauchfleisch Psychologe

Wie macht Einsamkeit krank?

Lange wurden nur die psychischen Folgen von Einsamkeit beachtet: Menschen werden depressiv, ängstlich, ziehen sich zurück oder trinken und rauchen zu viel und essen oder schlafen zu wenig. Die körperlichen Folgen waren kaum im Fokus. Doch Einsamkeit ist ein Dauerstress mit massiven Folgen für den Körper. Viele Menschen schämen sich und verheimlichen ihre Einsamkeit, was sie zusätzlich stresst.

Haben sich die Zahlen zur Einsamkeit verändert?

Das hat sich drastisch verändert, wobei wir vor allem mit der Corona-Pandemie aufmerksamer geworden sind. Seither gibt es viel mehr Forschung dazu. Die jüngsten Berichte zeigen, dass nicht nur ältere Menschen, sondern auch viele Junge stark betroffen sind.

Sind jüngere Menschen anders einsam?

Ja. Bei den älteren Menschen ist oft der Tod von Menschen aus der gleichen Generation eine Ursache. Dazu kommen körperliche Beschwerden und schwierige Wohnsituationen. Bei Jungen ist es eher das Ausscheiden aus einem gewohnten Beziehungsraum wie etwa der Familie oder Schulklasse und der Gang in eine sehr fordernde Berufswelt. Und das alles bei einer nicht gerade rosigen Zukunft.

Einsamkeit.
Legende: Auch viele junge Menschen leiden stark unter Einsamkeit. (Symbolbild) Keystone/DPA/Jonas Walzberg

Werden Menschen in der hochdigitalisieren Welt schneller einsam?

Das liegt wohl nicht an dem, sondern allenfalls daran, dass die Kommunikation insgesamt abgenommen hat. Die Vereinsamung und die Anonymität der Gesellschaft sind grösser und undurchschaubarer geworden. Das kann ein Ohnmachtsgefühl auslösen. Den Eindruck, nicht mehr mitzukommen und nicht mehr teilhaben zu können. Dazu kommt auch die Armut, die sehr schnell in die Einsamkeit führt. Wenn sich etwa Menschen aus Scham zurückziehen und niemanden mehr einladen.

Wir sollten also im privaten und öffentlichen Bereich auf Menschen zugehen, von denen wir meinen, dass sie einsam sind.
Autor: Udo Rauchfleisch Psychologe

Wie kann man diesem Einsamkeitsgefühl begegnen?

Auf gesellschaftlicher Ebene muss weiterhin intensiv geforscht werden, auch wenn man schon viel weiss. Die Massnahmen müssen bekannt gemacht werden, um wenigstens jene zu erreichen, die noch von sich aus etwas unternehmen können. Wir sollten also im privaten und öffentlichen Bereich auf Menschen zugehen, von denen wir meinen, dass sie einsam sind. Indem wir sie einladen, ihnen Zeit schenken und mit ihnen erste Schritte in irgendeine Gemeinschaft machen, wo sie sich wohlfühlen.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 3.7.2025, 18 Uhr ; 

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