Die Feiertage und die Tage danach führen vielen Menschen die eigene Einsamkeit besonders schmerzhaft vor Augen. Psychologe Tobias Krieger erklärt, wann Einsamkeit krank macht.
SRF News: Die Feiertage sind vorbei. Sind das besonders schwere Tage für einsame Menschen?
Tobias Krieger: Ja, diese Tage sind besonders schwer. In unserer Vorstellung kommt die Familie zusammen und es geht heiter zu und her. Dieses Idealbild kann bei Menschen, bei denen das nicht so ist, dazu führen, dass die Einsamkeit stärker empfunden wird als während des Rests des Jahres.
Was ist Einsamkeit?
Einsamkeit kann als ein unangenehmes Gefühl definiert werden, das auftritt, wenn die aktuell bestehenden Beziehungen nicht den gewünschten sozialen Beziehungen entsprechen. Dies kann sich sowohl auf die Quantität als auch auf die Qualität der Beziehungen beziehen. Es ist ein sehr individuelles und subjektives Gefühl. Einsamkeit ist nicht etwas, was wir Menschen von aussen ansehen. Das Gefühl kommt von innen und muss erfragt werden.
Die Fähigkeit, sich einsam zu fühlen, ist eine wichtige Voraussetzung für das Menschsein.
Gibt es einen Unterschied zwischen sporadischer und dauerhafter Einsamkeit?
Das ist eine wichtige Unterscheidung. Wir Menschen sind soziale Wesen, und die Fähigkeit, sich einsam zu fühlen, ist eine wichtige Voraussetzung für das Menschsein. Wir können Einsamkeit als ein Signal unseres Körpers verstehen, dass in unseren Beziehungen etwas nicht stimmt. Sich von Zeit zu Zeit einsam zu fühlen, hat etwas Positives. Es kann eine Motivation sein, wieder mehr in Beziehungen zu investieren. Problematisch wird es, wenn die Einsamkeit chronisch wird.
Chronische Einsamkeit soll für den Körper so schädlich sein. Was passiert im Körper?
Gemäss einer Studie ist die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben, bei chronischer Einsamkeit ungefähr so hoch, wie wenn täglich fast eine Schachtel Zigaretten geraucht wird. Einsamkeit ist ein Stresszustand. Sie macht wacher, aktiver, und wenn die Einsamkeit länger anhält, wird sie zu chronischem Stress. Chronischer Stress beeinflusst Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz, aber auch psychische Störungen. Einsamkeit ist demnach auch eine Belastung für unser Gesundheitssystem.
Es gehört viel Mut dazu, die bestehende Unsicherheit zu überwinden. Einsamkeit ist wie ein dumpfer Schmerz.
Was kann gegen Einsamkeit getan werden?
Es ist wichtig, auf die körperlichen Signale zu achten, um handeln zu können. Meistens braucht es eine Veränderung in den sozialen Beziehungen. Sei es, neue Bekanntschaften zu schliessen oder bestehende Beziehungen zu vertiefen. Es ist wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, bei denen man sich wohl und gesehen fühlt.
Diese Veränderung ist nicht einfach herbeizuführen.
Es ist überhaupt nicht einfach. Oft berichten einsame Menschen, dass sie in der Vergangenheit tiefgreifende negative Bindungserfahrungen gemacht haben. Es gehört viel Mut dazu, die bestehende Unsicherheit zu überwinden. Einsamkeit ist wie ein dumpfer Schmerz, der von den Betroffenen als kleineres Übel angesehen wird als die Aussicht auf eine neue negative Erfahrung. Dies kann dazu führen, dass kurzfristig das kleinere Übel gewählt wird, was langfristig verheerende Folgen haben kann.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.