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Abkommen Schweiz-EU «Ich hätte das Zugeständnis bei der Schutzklausel nicht erwartet»

Das Vertragspaket mit der EU liegt auf dem Tisch. Jetzt spricht der Chefunterhändler der Schweiz, Patric Franzen, erstmals darüber. Er gibt Einblick in die Verhandlungen und erläutert, welchen Handlungsspielraum er hatte. Und er erklärt, welche Folgen es hat, wenn das Schweizer Volk dem Vertragswerk zustimmt – oder es ablehnt.

Patric Franzen

Stellvertretender Staatssekretär im EDA

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Der Jurist und Völkerrechtler Patric Franzen ist stellvertretender Staatssekretär im EDA. Seit Frühling 2021 amtet er dort als Chef der Abteilung Europa. In dieser Funktion war er Verhandlungsführer der Schweiz bei den Verhandlungen mit der EU zu den neuen sektoriellen Abkommen.

SRF News: Der Vertragstext ist jetzt öffentlich, aber noch nicht in Kraft – fühlen Sie sich jetzt ein bisschen wie ein Schüler, der nach der Prüfung auf seine Note wartet?

Patric Franzen: Der Verhandlungsabschluss ist eine Art Zwischenzeugnis, aber ja, die Note kommt dann erst ganz am Schluss. Nach der Volksabstimmung.

Wir haben den Auftrag des Bundesrats nach bestem Wissen und Gewissen für unser Land erfüllt.

Die Reaktionen auf Ihr Verhandlungsergebnis gehen von «genial» (Bundesrat Beat Jans) bis zu «idiotisch» (SVP-Nationalrat Alfred Heer). Was bedeuten diese Reaktionen für Sie?

Man muss sie sachlich einordnen. Unser Verhandlungsteam hatte ein Verhandlungsmandat vom Bundesrat, einen Auftrag. Diesen haben wir nach bestem Wissen und Gewissen – auch mit viel Herzblut – für unser Land erfüllt.

Deshalb waren die Verhandlungen nötig

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EU- und schweizerische Flaggen im Raum.
Legende: Keystone / Anthony Anex

«Wenn wir nichts tun, verlieren wir den Status quo, was die bilateralen Verträge mit der EU angeht. Die jetzigen Abkommen werden nicht aufdatiert – das ist vergleichbar mit einem iPhone, dessen Apps nicht upgedatet werden. Irgendwann funktionieren sie nicht mehr», erklärt Patric Franzen.

Mit dem neuen Vertragspaket solle deshalb der bilaterale Weg fortgeführt und zukunftsfähig gemacht werden. «Zudem können wir nun weitere Abkommen mit der EU abschliessen, die seit 2008 blockiert sind. Das sind Stromabkommen, Gesundheitsabkommen sowie ein Abkommen zur Lebensmittelsicherheit. Hinzu kommt, dass auch die Schweizer Beteiligung am EU-Forschungsprogramm vertraglich geregelt wird», so der Schweizer Chefunterhändler.

Welche Note geben Sie sich selbst?

Als Chefunterhändler ist man stets hin- und hergerissen zwischen mittlerer Zufriedenheit und mittlerer Unzufriedenheit. Ich würde mir die Note fünf geben.

Was ist das Wichtigste bei solchen Verhandlungen?

Voraussetzung ist zunächst ein sehr breit abgestütztes Verhandlungsmandat, das aber einen gewissen Spielraum zulässt. Weiter muss beim Prozess auch die Politik eingebunden sein. Drittens braucht es ein breites, schlagkräftiges und innovatives Verhandlungsteam. In diesem Fall waren insgesamt über 70 Personen aus der Bundesverwaltung und aus den Kantonen involviert. Und: Es braucht Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

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War nach der Beerdigung des Rahmenabkommens durch den Bundesrat 2021 in Brüssel überhaupt noch Vertrauen in die Schweizer Vertreter vorhanden?

Das Klima war zu Beginn tatsächlich sehr frostig. Wir mussten das Vertrauen in den Sondierungen zuerst zurückgewinnen. Es dauerte anderthalb Jahre, bis man das «Common Understandig» als Grundlage für die Verhandlungen erarbeitet hatte.

Wo ist die EU bei den Verhandlungen der Schweiz entgegengekommen, wo Sie es nicht erwartet hätten?

Ich hätte das Zugeständnis zur Schutzklausel nicht erwartet. Ebenso, dass es gelungen ist, die Landwirtschaft aus der dynamischen Regelübernahme auszuschliessen. Ebenfalls überraschend ist, dass es gelungen ist, ein eigenes Beihilfe-Überwachungssystem einzuführen.

Die grösste Enttäuschung ist, dass wir keine Ausnahme bei der Spesenregelung erhalten haben.

Was haben Sie nicht erreicht?

Für mich war die grösste Enttäuschung, dass wir keine Ausnahme bei der Spesenregelung erhalten haben. Denn die EU-Regulierung bei den Spesen ist einfach schlecht.

Welche Druckmittel hatten Sie bei den Verhandlungen?

Sehr viele! Die Schweiz ist ein sehr wichtiger Partner für die EU – was die Wirtschaft angeht und auch die Investitionen. Das haben wir auch in die Waagschale geworfen.

Wie ist es, zu verhandeln im Wissen, dass das Schweizer Volk quasi immer mit am Tisch sitzt? Schliesslich muss es dem Vertragsergebnis am Schluss ja zustimmen.

Es macht einen sehr stolz – und es war auch ein Vorteil bei den Verhandlungen, den wir ebenfalls in die Waagschale warfen. Man weiss: Das Verhandlungsergebnis wird man im «Rössli», im «Ochsen» oder in der Turnhalle den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen. Das macht man auch der Gegenseite bei den Verhandlungen klar.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Tagesgespräch, 25.6.2025, 13:00 Uhr ; 

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