Donald Trumps Zollkrieg scheint nun auch die Reihen in der Schweizer Landesregierung zu schliessen, wenn es um die neuen Verträge mit der EU geht. Heute sagte der Bundesrat zum ersten Mal deutlich: Verlässliche Beziehungen zur EU seien wegen der angespannten geopolitischen Lage eine «strategische Notwendigkeit». Und Aussenminister Ignazio Cassis fügte an: Der Bundesrat führe jetzt im EU-Dossier. Das sind neue Töne.
Taktische Überlegungen
Klare Worte wählte der sonst meist sehr vorsichtige Aussenminister auch bei der Frage eines Ständemehrs. Der Bundesrat habe vor allem auch aus politischen und taktischen Gründen entschieden, dass für die neuen EU-Verträge ein einfaches Volksmehr an der Urne genüge. Mit anderen Worten: Der Bundesrat will die Hürde für das Vertragspaket möglichst tief setzen, weil er die Verträge erfolgreich durch die Volksabstimmung bringen will.
Bisher wurde in Bundesbern gerätselt, ob der Bundesrat eigentlich wirklich mit Überzeugung hinter dem fertig ausgehandelten Vertragspakt mit der EU steht. Denn die Landesregierung nahm den Abschluss der Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel nur «zur Kenntnis».
Ständemehr könnte Nein an der Urne bedeuten
Indem sich die Landesregierung bei der Volksabstimmung über das EU-Vertragspaket nun gegen ein Mehr der Stände ausspricht, ist ein Ja an der Urne realistischer geworden.
Die taktische Überlegung: Das neue Vertragspaket mit der EU hätte nur sehr wenig oder kaum Erfolgschancen an der Urne, wenn auch eine Mehrheit der Stände zustimmen müsste. Zu gross ist die Skepsis in den ländlich-konservativen Regionen. Das wurde 1992 beim Nein zum EWR deutlich: Der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum scheiterte deutlich am Ständemehr, bei der Stimmbevölkerung machte der Unterschied aber nur rund 23'000 Stimmen aus.
Bundesrat provoziert Gegner
Allerdings provoziert der Bundesrat mit seinem Entscheid noch mehr Widerstand bei den Gegnern des neuen Vertragspakets. Für die SVP und die EU-kritischen Unternehmer der Vereinigung «Kompass Europa» ist ein Ständemehr zwingend. Sie sind der Ansicht: Das EU-Vertragspaket ist viel mehr als eine Weiterentwicklung des bilateralen Wegs, denn künftig gilt bei allen Verträgen eine dynamische EU-Rechtsübernahme. Die Vereinigung Kompass Europa um den Zuger Milliardär Alfred Gantner will mit einer Volksinitiative erreichen, dass bei Verträgen wie jenen mit der EU ein Ständemehr zwingend ist.
Die Stimmbevölkerung lehnte 2012 eine Initiative allerdings deutlich ab, die ein Ständemehr bei solchen Verträgen für obligatorisch erklären wollte.
Viele Verfassungsrechtler und das Bundesamt für Justiz kamen zum Schluss: Man kann das Ständemehr bei den EU-Verträgen aus staatsrechtlicher Sicht nicht nach Gutdünken einbauen.
Parlament hat letztes Wort
Trotzdem könnte das Parlament politisch immer noch anders entscheiden. National- und Ständerat sind frei, das neue EU-Vertragspaket dem Ständemehr zu unterstellen. Doch auch im Parlament scheinen sich die Reihen der Befürworter neuer EU-Verträge zu schliessen – auch wegen der geopolitischen Lage. Eine Mehrheit im Parlament dürfte kaum ein Interesse haben an höheren Hürden für das neue EU-Vertragspaket.