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Abschaffung der Heiratsstrafe Konservative wollen links-liberale Zweckehe vereiteln

Die individuelle Besteuerung von Eheleuten gab im Parlament viel zu reden. Zu viel, um die Debatte abzuschliessen. Entschieden wird nächste Woche.

Sollen künftig alle Erwachsenen ihre eigene Steuererklärung ausfüllen – unabhängig von ihrem Zivilstand? Diese Frage hatte der Nationalrat zu beantworten – und er nahm sich dafür Zeit. Mehr als 60 Rednerinnen und Redner wollten ihre Sicht auf das gesellschaftspolitisch umstrittene Thema kundtun.

Warum heisst es «Heiratsstrafe»?

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Bis jetzt werden Ehepaare zusammen besteuert. Wenn beide arbeiten, dann zahlen sie wegen der Progression oft höhere Steuern als Paare in der gleichen wirtschaftlichen Situation, die nicht verheiratet sind und einzeln veranlagt werden. Deshalb spricht man von «Heiratsstrafe».

Mit der Einführung der Individualbesteuerung würden alle natürlichen Personen einzeln besteuert – unabhängig vom Zivilstand. Sollte die Individualbesteuerung umgesetzt werden, rechnet der Bund mit 1 Milliarde weniger Einnahmen bei der direkten Bundessteuer. 800 Millionen Franken davon würde der Bund tragen, 200 Millionen Franken die Kantone.

Der Bundesrat hat einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet, mit dem das gleiche Ziel schneller erreicht werden könne.

Zur Diskussion standen die von den FDP-Frauen eingereichte Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung» sowie der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats. Immer wieder wurde auch das Modell der Mitte-Partei erwähnt, das die sogenannte Heiratsstrafe ebenfalls abschaffen will.

Links-liberale Zweckehe

Die mehr als fünfstündige Debatte verlief zwischen links-liberalen, modernen und konservativen Familien- und Wertvorstellungen.

Kathrin Bertschy (GLP/BE) erklärte zu Beginn, warum eine knappe Kommissionsmehrheit die Individualbesteuerung unterstützte. Es sei ein gut austariertes und modernes Familien­besteuerungs­modell, das den soziökonomischen Entwicklungen und dem gesellschaftspolitischen Wertewandel am besten entspreche.

Céline Widmer (SP/ZH) monierte, dass das heutige Modell «schlicht nicht mehr zeitgemäss sei» und Fehlanreize enthalte. Diese würden Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalten.

Die Individualbesteuerung sei kein Angriff auf die Ehe – im Gegenteil. Mit ihr würde die finanzielle Unabhängigkeit der Eheleute gestärkt und ihre Vorsorge fürs Alter sowie bei Scheidung verbessert.

Tamara Funicello (SP/BE) betonte zudem, dass die Individualbesteuerung von den meisten Parteien unterstützt werde und in den meisten europäischen Ländern bereits Realität sei: «Es ist höchste Zeit, dass wir diesen längst überfälligen Schritt auch hier in der Schweiz gehen.»

Auch Franziska Ryser (Grüne/SG) sprach sich im Namen ihrer Partei für die Steuerreform aus. Diese würde alle Personen in der Schweiz gleich behandeln und die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen fördern.

Die links-liberale Zweckehe besiegelte Beat Walti (FDP/ZH). Die Vorlagen seien finanzpolitisch ausgewogen sowie in ihren Konsequenzen vertretbar, gesellschaftspolitisch richtig und wichtig. Und: «Die Individualbesteuerung ist die einzige Methode zur Beseitigung der Heiratsstrafe, die nicht neue Ungerechtigkeiten und Probleme schafft.»

«Neue Strafe schaffen?»

Dem widersprach Leo Müller von der Mitte-Fraktion: Es könne nicht sein, dass mit der Initiative eine neue Strafe eingeführt werde – nämlich für die über 600'000 Einverdiener-Ehepaare in der Schweiz.

Er sei dezidiert für die Abschaffung der Heiratsstrafe, doch plädierte er für das Modell der Mitte, um dies zu erreichen.

Das schlägt die Mitte vor

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Die Mitte hat eigene Initiativen zur Korrektur der sogenannten Heiratsstrafe präsentiert. Die Initiative für «Faire Steuern» der Mitte fordert eine alternative Steuerberechnung: Für jedes Ehepaar sollen die Steuern zweimal berechnet werden – einmal als Ehepaar und einmal als Einzelpersonen. Das Paar bezahlt dann den tieferen Betrag. Allerdings würde dies nur für die direkte Bundessteuer gelten.

Matthias Bregy (Mitte/VS) warnte vor einem «Bürokratiemonster». Künftig würden 1.7 Millionen mehr Steuererklärungen eingereicht. Die Kantone hätten dabei die Mehrarbeit – auch solche, die die Heiratsstrafe bereits abgeschafft hätten.

Nebst der Mitte gehört auch die SVP zur konservativen Allianz, die die Individualbesteuerung bekämpft: Paolo Pamini (SVP/TI) monierte, der Gegenvorschlag sei ineffizient. Dies, weil die Beschäftigungseffekte sehr gering seien. Nur gerade acht Prozent der Frauen würden mehr arbeiten: «Das ist der grösste Witz der Legislatur!»

Aufgrund der Vielzahl an Rednerinnen und Rednern wurden keine Entscheide mehr gefällt. Die Debatte wird am Mittwoch, 25. September, fortgeführt.

Echo der Zeit, 16.9.2024, 18:00 Uhr

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