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Hochkomplexe Vorlage «Ja ebe da die Dings ...»: War die BVG-Reform zu kompliziert?

Wo sind die Grenzen der direkten Demokratie? Die Abstimmung über die Pensionskassenreform befeuert die Frage von Neuem.

Manchmal sagt ein Name mehr als tausend Worte: Bei der «Burka-Initiative» oder der «Hornkuh-Initiative» konnte man aus dem Bauch heraus entscheiden. Wer die Vollverschleierung schon immer ablehnte, brauchte kein Abstimmungsbüchlein. Und wer findet, dass Kühe Hörner haben müssen, auch nicht.

Bei der Reform der beruflichen Vorsorge half das Bauchgefühl wenig. Wer sich eine Meinung bilden wollte, musste sich reinknien. Vom Umwandlungssatz über die Eintrittsschwelle bis zum Koordinationsabzug ging ohne Glossar nichts.

Ältere Menschen auf Schiff
Legende: Im August wurde der Rechenfehler des Bundes bei der AHV-Abstimmung von 2022 publik. Konnte man den Zahlen, die im Abstimmungskampf zur BVG-Reform kursierten, überhaupt trauen? Die Verwirrung war perfekt. Keystone/Alexandra Wey

Am Sonntag setzte es nun ein krachendes Nein gegen die Pensionskassenreform ab. War die Vorlage einfach zu kompliziert? An der Präsidentenrunde wollte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer davon nichts wissen. Die Stimmberechtigten hätten ganz einfach verstanden, dass sie für weniger Rente mehr hätten zahlen sollen.

Im bürgerlichen Verlierer-Lager dürften so einige anderer Ansicht sein. Mitte-Präsident Gerhard Pfister bezeichnete die Vorlage auch noch nach dem deutlichen Nein als ausgewogen. Er räumte aber ein, dass diese Botschaft nicht beim Volk angekommen sei.

Abstimmungsfrage zur BVG-Reform
Legende: Lesebrille dringend empfohlen: Schon die Abstimmungsfrage zur BVG-Reform erforderte volle Konzentration. Screenshot admin.ch

Hätten die Befürworterinnen und Befürworter mehr Aufklärungsarbeit leisten sollen? Oder war die Vorlage schlichtweg nicht vermittelbar? Eine Blitzumfrage auf der Strasse belegt: Die BVG-Reform war schwer verdaulich.

Doch auch Fachleute aus der Wirtschaft und Wissenschaft hatten an der Vorlage zu beissen. «Auch für mich war es eine Herausforderung, mir eine Meinung zu bilden», gibt Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern zu. Die Politologin forscht unter anderem zu Abstimmungen.

Auffallend viele leere Stimmzettel in den Urnen

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Bemerkenswert: Die Stimmbeteiligung am Sonntag war durchschnittlich – obwohl die Altersvorsorge alle betrifft und die Rentendebatte traditionell emotional geführt wird. Und: Bei der BVG-Reform haben doppelt so viele Stimmberechtigte die Abstimmungsfrage nicht beantwortet wie bei der Biodiversitätsinitiative, die ebenfalls zur Abstimmung kam. Die leeren Stimmzettel weisen darauf hin, dass vielen Menschen die Meinungsbildung schwerfiel.

Die Schweizer Altersvorsorge sei an sich ein komplexes System, gerade bei der 2. Säule, sagt Mousson. «Die Auswirkungen der Reform auf das eigene Leben zu durchschauen, war eine Knacknuss. Selbst die Versicherer konnten das nicht so eindeutig beantworten.»

Mann mit Rechenschieber und Unterlagen
Legende: Die «NZZ» kommt zum Schluss: Die Stimmberechtigten hätten schlicht nicht gewusst, was diese Reform für sie bedeutet. Keystone/Gaetan Bally

Für SRF-Inlandredaktor Matthias Strasser hat Verunsicherung bei der Ablehnung der BVG-Reform zwar mitgespielt. Sie sei aber nur ein Teil der Erklärung. «Viele Leute dürften auch ein Nein eingelegt haben, weil sie überzeugt waren, dass die Reform negative Auswirkungen auf sie hat.»

Matthias Strasser

Inlandredaktor

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Matthias Strasser ist Inlandredaktor und seit 2019 für Radio SRF tätig. Davor hat der Historiker als Bundeshauskorrespondent für private Radiostationen berichtet. Seine Fachgebiete sind Europapolitik, Verkehr und Migration.

Politik ist auch eine Frage des Vertrauens. Gerade, wenn es kompliziert wird. «Und bei der Rentenpolitik vertrauen derzeit viele Menschen den Gewerkschaften», schliesst Strasser. Und das bis weit ins bürgerliche Lager.

Schweizer Abstimmungsveteranen

Politologin Mousson betont zudem, dass die Schweizerinnen und Schweizer sehr viel Erfahrung darin haben, sich mit komplexen politischen Themen auseinanderzusetzen. «Die EWR-Verträge füllten 300 Bundesordner – und auch darüber haben wir abgestimmt.»

Eine «Komplexitäts-Grenze» zu definieren, ab der Vorlagen gar nicht erst vors Volk kommen sollten, lehnt Mousson entschieden ab: «Das wäre eine Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger.» Stattdessen sei es Aufgabe der Politik und der Medien, Vorlagen auf das Wesentliche herunterzubrechen: Sie liefern Argumente, die man teilen oder ablehnen kann.

Passanten in Stein am Rhein
Legende: Auch die Parolen der Parteien, mit denen man sympathisiert, geben Orientierung. Gänzlich im Nebel stochern muss also auch bei den kompliziertesten politischen Geschäften niemand. Keystone

Das nötige Vertrauen in die BVG-Reform konnten Bundesrat und Parlament nicht schaffen. Stattdessen hat sich frühzeitig Misstrauen ausgebreitet – auch aufgrund der AHV-Rechenpanne. «Zudem kamen verstärkt Zweifel auf, ob diese Reform überhaupt nötig ist. Das war ihr Todesurteil», erklärt die Forscherin.

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SRF 4 News, 23.9.2024, 17:15 Uhr ; 

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