Manchmal sagt ein Name mehr als tausend Worte: Bei der «Burka-Initiative» oder der «Hornkuh-Initiative» konnte man aus dem Bauch heraus entscheiden. Wer die Vollverschleierung schon immer ablehnte, brauchte kein Abstimmungsbüchlein. Und wer findet, dass Kühe Hörner haben müssen, auch nicht.
Bei der Reform der beruflichen Vorsorge half das Bauchgefühl wenig. Wer sich eine Meinung bilden wollte, musste sich reinknien. Vom Umwandlungssatz über die Eintrittsschwelle bis zum Koordinationsabzug ging ohne Glossar nichts.
Am Sonntag setzte es nun ein krachendes Nein gegen die Pensionskassenreform ab. War die Vorlage einfach zu kompliziert? An der Präsidentenrunde wollte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer davon nichts wissen. Die Stimmberechtigten hätten ganz einfach verstanden, dass sie für weniger Rente mehr hätten zahlen sollen.
Im bürgerlichen Verlierer-Lager dürften so einige anderer Ansicht sein. Mitte-Präsident Gerhard Pfister bezeichnete die Vorlage auch noch nach dem deutlichen Nein als ausgewogen. Er räumte aber ein, dass diese Botschaft nicht beim Volk angekommen sei.
Hätten die Befürworterinnen und Befürworter mehr Aufklärungsarbeit leisten sollen? Oder war die Vorlage schlichtweg nicht vermittelbar? Eine Blitzumfrage auf der Strasse belegt: Die BVG-Reform war schwer verdaulich.
Doch auch Fachleute aus der Wirtschaft und Wissenschaft hatten an der Vorlage zu beissen. «Auch für mich war es eine Herausforderung, mir eine Meinung zu bilden», gibt Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern zu. Die Politologin forscht unter anderem zu Abstimmungen.
Die Schweizer Altersvorsorge sei an sich ein komplexes System, gerade bei der 2. Säule, sagt Mousson. «Die Auswirkungen der Reform auf das eigene Leben zu durchschauen, war eine Knacknuss. Selbst die Versicherer konnten das nicht so eindeutig beantworten.»
Für SRF-Inlandredaktor Matthias Strasser hat Verunsicherung bei der Ablehnung der BVG-Reform zwar mitgespielt. Sie sei aber nur ein Teil der Erklärung. «Viele Leute dürften auch ein Nein eingelegt haben, weil sie überzeugt waren, dass die Reform negative Auswirkungen auf sie hat.»
Politik ist auch eine Frage des Vertrauens. Gerade, wenn es kompliziert wird. «Und bei der Rentenpolitik vertrauen derzeit viele Menschen den Gewerkschaften», schliesst Strasser. Und das bis weit ins bürgerliche Lager.
Schweizer Abstimmungsveteranen
Politologin Mousson betont zudem, dass die Schweizerinnen und Schweizer sehr viel Erfahrung darin haben, sich mit komplexen politischen Themen auseinanderzusetzen. «Die EWR-Verträge füllten 300 Bundesordner – und auch darüber haben wir abgestimmt.»
Eine «Komplexitäts-Grenze» zu definieren, ab der Vorlagen gar nicht erst vors Volk kommen sollten, lehnt Mousson entschieden ab: «Das wäre eine Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger.» Stattdessen sei es Aufgabe der Politik und der Medien, Vorlagen auf das Wesentliche herunterzubrechen: Sie liefern Argumente, die man teilen oder ablehnen kann.
Das nötige Vertrauen in die BVG-Reform konnten Bundesrat und Parlament nicht schaffen. Stattdessen hat sich frühzeitig Misstrauen ausgebreitet – auch aufgrund der AHV-Rechenpanne. «Zudem kamen verstärkt Zweifel auf, ob diese Reform überhaupt nötig ist. Das war ihr Todesurteil», erklärt die Forscherin.
Die News und was dahinter steckt. Mit News Plus gehst du gut informiert in den Feierabend.
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.