Gemeindepräsidentin Claudia Boschetti Straub ist Posthalterin in Olivone im Bleniotal. Sie steckt in einem Dilemma. Die Gemeinderegierung ist für den Park, die grossen Parteien und die Kantonsregierung ebenfalls. Boschetti Straub aber, deren Mann 13 Jahre lang eine Schutzhütte in der Greina-Ebene geführt hatte, ist gegen den Park. Und ihr Wort hat Gewicht.
«Die Gemeinde Blenio befindet sich im Zentrum des Parc Adula. Das Rheinwaldhorn liegt auf dem Boden der Gemeinde, fast 80 Prozent der Kernzone des Nationalparks gehören zu Blenio. Das Votum der Stimmbürger aus Blenio wird entscheidend sein für das Nationalparkprojekt insgesamt», sagt Boschetti Straub.
Grosse Zweifel und ebenso grosse Erwartungen beschäftigen die Stimmbürger im Bleniotal. Denis Vanbianchi arbeitet Teilzeit für den Park, im Winter betreibt er einen Skilift.
Hoffnung auf Arbeitsplätze
Für ihn ist das Nationalparkprojekt eine einzigartige Chance für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Tal. Für ein Tal, dessen Tourismusgewerbe sich im Niedergang befindet. Die wirtschaftlichen Vorteile überwögen die Einschränkungen bei weitem, sagt Vanbianchi: «Fünf Millionen Franken fliessen jährlich in das Projekt. 18 neue Arbeitsplätze entstehen, vier davon in Blenio.»
Ein Nationalpark der neuen Generation sei das, unterstreicht Vanbianchi. Der Park sei von unten nach oben entworfen, alle denkbaren Akteure einbezogen worden: Gemeinden, Landwirte, Bodenbesitzer, Hüttenwarte, Jäger.
Auch Gina la Mantia ist Park-Befürworterin. Sie betreibt mit ihrem Mann ein Ofenbauergeschäft und sitzt für die SP im Kantonsparlament. Sie hofft, dass es keinen Bauchentscheid gibt und die Bürger einen realistischen Blick auf das Umfeld werfen. Sie erinnert, dass das Kantonsparlament ein 200-Millionen-Sparpaket verabschiedet hat. Entsprechend begrenzt sei die Bereitschaft zur Subventionierung von Bergregionen.
Bestätigung nach zehn Jahren
Der Nationalpark ist eine Chance, sich unabhängig von Subventionen zu entwickeln, erklärt die Politikerin: «Diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen, umso mehr, als der Parkvertrag nach zehn Jahren bestätigt werden muss.» La Mantia geht davon aus, dass in diesen zehn Jahren nichts zerstört wird. Wenn eine Gemeinde danach feststelle, dass der Park ein Misserfolg ist, könne sie aussteigen.
Dennoch herrscht Misstrauen im Bleniotal. Zum Beispiel bei Rentner Elio Devittori: Der Parkvertrag sei provisorisch und werde noch abgeändert. Er befürchtet, dass sich Bern, Bellinzona, Brüssel und Umweltschützer einmischen werden und zusätzliche Verbote drohen.
Massive Einschränkungen?
Das Studium von Verordnungen, Gesetzen und Nationalpark-Charta hat Devittori misstrauisch gemacht. Denn da steht zum Beispiel, dass ein Rustico in der Kernzone nach einem Verkauf abgebrochen werden kann. So etwas ist Öl ins talpolitische Feuer. Doch die Information sei überholt, stellt das Bundesamt für Umwelt fest: «In der Kernzone gilt die Bestandesgarantie, auch für Rustici.»
Devittori hegt Misstrauen gegen das «Establishment». Gemeindepräsidentin Boschetti Straub bleibt bei der Meinung, dass der Park die erhofften Ströme an Touristen und Geld nicht bringen wird.
Lega-Staatsrat Claudio Zali hat den Zweiflern zugerufen. Er sehe die Chancen und auch die Probleme. Die Chancen kämen nicht wieder. Die Probleme seien mit gesundem Menschenverstand lösbar. Die Gemeindepräsidentin hat er nicht überzeugt. Und ihr Wort hat Gewicht in Blenio.