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Änderung im Zivilgesetzbuch Gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankern – was heisst das?

Der Bundesrat will die gewaltfreie Erziehung von Kindern im Zivilrecht verankern. Dennoch bleiben Fragen offen, wie Gewalt definiert wird und wo die Grenze ist. Eine Juristin und ein Psychologe ordnen ein.

Rund 30 Prozent der Eltern beschimpfen ihr Kind heftig. 20 Prozent erziehen mit psychischer Gewalt. Jedes fünfte Kind erhält Schläge auf den Hintern, jedes zehnte wird geohrfeigt. Solche Studien erstellt die Universität Freiburg.

Psychologieprofessor Dominik Schöbi leitet die Erhebungen und sagt: «Es ist immer noch zu viel Gewalt vorhanden in der Erziehung.»

Es geht nicht darum, die Eltern zu bestrafen.
Autor: Laura Jost Kinderanwältin

Vor allem bei kleineren Kindern bestehe viel Handlungsbedarf, auch wenn diese Gewalt heute nicht mehr so stark verbreitet sei wie vor 30 oder 50 Jahren. Doch was genau bewirkt die gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch (ZGB)?

Juristin: Strafrecht schützt Kinder nicht

Kinder zu schlagen oder psychisch zu erniedrigen ist bereits heute nicht erlaubt. Das ist im Strafgesetz so geregelt. Die gewaltfreie Erziehung im ZGB konkretisiere die Erziehungspflicht der Eltern und stärke so den Kindesschutz, sagt die Kinderanwältin Laura Jost. «Zivilrechtlicher Kinderschutz interessiert sich nicht für die Schuld der Beteiligten, sondern es geht einzig darum, zu schauen, wie diesem Kind geholfen werden kann. Es geht nicht darum, die Eltern zu bestrafen.»

Für das Bestrafen ist das Strafrecht zuständig. Aber es kommt erst zum Zug, wenn bereits etwas Gravierendes passiert ist. Deshalb schütze das Strafrecht die Kinder nicht, sagt Laura Jost. Es bestrafe nur die Täterinnen und Täter. Ein Kind wolle das oft gar nicht. Es möchte nur, dass die Gewalt aufhört.

Kind im gelben Regenmantel spielt mit Stock am Teichufer.
Legende: Der Nationalrat hat als Erstrat entschieden, das Prinzip der gewaltfreien Erziehung von Kindern im Schweizer Zivilgesetzbuch zu verankern. KEYSTONE/Gaetan Bally

«Kinder sind ihren Eltern gegenüber loyal. Sie möchten nicht, dass die Eltern bestraft werden –, und zwar unabhängig davon, wie schlecht es ihnen in der Situation geht», sagt Laura Jost.

Die Elternpflicht zur gewaltfreien Erziehung im Zivilgesetzbuch dient vereinfacht gesagt als eine Art Vorstufe zum Strafgesetz. Die Kinderanwältin hat eine Handhabe, um eine Ohrfeige mit Eltern zu besprechen, auch wenn diese eine Ohrfeige nicht strafbar ist: «Dass sie verpflichtet sind, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen, dass immer mal wieder der Klaps aufs ‹Füdli› oder das An-den-Haaren-Ziehen nicht okay ist.»

Gewisse Studien zeigen, dass innerhalb der ersten zehn Jahre nach der Einführung solcher Bestimmungen nicht nur die Gewalt, sondern vor allem die Sichtweise der Eltern sich stark verändert hat.
Autor: Dominik Schöbi Psychologieprofessor

Im Zivilrecht könne man auffangen, was sich sonst möglicherweise zu einer Straftat entwickle, betont Laura Jost. Denn vieles im Schweizer Recht ist zwar nicht erlaubt, aber es ist nicht strafbar.

Positive Erfahrungen in anderen Ländern

Die neue Bestimmung im ZGB wirkt also vor allem präventiv. Das funktioniere, sagt Psychologe Dominik Schöbi. Das zeigten Erfahrungen in Ländern, die diese gewaltfreie Erziehung bereits im Gesetz stehen haben – Deutschland, Schweden oder Neuseeland. «Gewisse Studien zeigen zum Beispiel, dass innerhalb der ersten zehn Jahre nach der Einführung solcher Bestimmungen nicht nur die Gewalt, sondern vor allem die Sichtweise der Eltern, was sinnvoll oder was problematisch ist, sich stark verändert hat», so Schöbi.

Die Gewalt im Zivilgesetzbuch noch genauer zu definieren, damit tun sich beide Fachleute schwer. Welche Gewaltgrenze nun mit der Verankerung im ZGB gezogen werde, lasse sich nur in den einzelnen Fällen beurteilen. Für die erste Beratung des neuen Gesetzesartikels hat der Bundesrat ein paar Beispiele angegeben. Als leichte, unzulässige körperliche Bestrafungen sieht er Ohrfeige, Klaps und Schütteln.

Voraussichtlich in der Sommersession äussert sich der Ständerat zur Vorlage.

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Echo der Zeit, 5.5.2025, 18 Uhr;liea

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