Darum geht es: Die Genfer Regierung hat eine externe Untersuchung zur Affäre um Tariq Ramadan in Auftrag gegeben. Die pensionierte Richterin Quynh Steiner Schmid und der frühere Jugendrichter Michel Lachat sollen die Tätigkeit des umstrittenen Islamwissenschaftlers an Genfer Schulen zwischen 1984 und 2004 untersuchen. Er arbeitete dort als Französischlehrer.
Deshalb die Untersuchung: Tariq Ramadan sitzt seit Ende Januar in Frankreich in Untersuchungshaft. Drei Frauen beschuldigen ihn, sie vergewaltigt zu haben. Bereits im November hatte ihn die Universität Oxford beurlaubt, nachdem die Vorwürfe der sexuellen Übergriffe gegen ihn laut wurden. Ramadan bestreitet, etwas Unrechtes getan zu haben. Die Genfer Behörden wollen nun wissen, ob es bereits während der Zeit seiner Tätigkeit in Genf fehlbares Verhalten Ramadans gegeben hat.
Vorwürfe von Frauen in Genf: Tatsächlich haben sich im Zuge der Recherchen von Westschweizer Medien vier damals minderjährige Frauen gemeldet, die angaben, von Ramadan bedrängt worden zu sein. Andere ehemalige Schülerinnen berichteten, dass es mit Ramadan zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Die betroffenen Frauen in der Schweiz reichten keine Anzeige ein, wohl vor allem, weil die Vorwürfe verjährt wären. Auch äusserten sie ihre Anschuldigungen in der «Tribune de Genève» bloss anonym.
Die Genfer Behörden wollen mehr wissen: Die externe Untersuchung durch Steiner Schmid und Lachat dreht sich um die Vorwürfe der Frauen aus Genf. Zudem sollen sie der Frage nachgehen, wie die Genfer Bildungsdirektion mit solchen und ähnlichen Fällen in den vergangenen 30 Jahren umgegangen ist. Dem Expertenduo wurde Zugang zu allen Dokumenten des Kantons Genf eingeräumt. Auch wurden aktuelle und ehemalige Mitarbeitende des Bildungsdepartements vom Amtsgeheimnis entbunden.
Eine Reaktion auf Kritik: Vor der nun angeordneten externen Untersuchung war der Genfer Bildungsdirektorin Anne Emery-Torracinta (SP) Untätigkeit in der Affäre vorgeworfen worden. Politiker forderten in einem Brief die Eröffnung einer Administrativuntersuchung. Eine solche interne Prüfung sei jedoch nicht möglich, weil das Dossier zu Ramadan leer sei, sagte Emery-Torracinta. Deshalb jetzt die externe Untersuchung. Dazu kommt es wohl auch, weil in drei Wochen Wahlen in Genf anstehen und die amtierenden Politiker in der Affäre keine Angriffsfläche bieten wollten.
Das bringt die Untersuchung: «Man sollte die Erwartungen nicht zu hoch hängen», sagt SRF-Westschweiz-Korrespondent Sascha Buchbinder. Schon Anfang Jahr sei eine Hotline in Genf eingerichtet worden, bei der sich Personen melden konnten, die Opfer von Lehrer-Übergriffen geworden sind. Dabei sei nur ein weiterer Fall ans Tageslicht gekommen, so Buchbinder. Dieser betreffe einen anderen Lehrer und liege 15 Jahre zurück. Trotzdem wolle die Genfer Regierung die Lehren aus der Affäre Ramadan ziehen und vermeiden, dass sich Ähnliches wiederhole.
Ramadan war in Genf nicht sehr beliebt: «Vielen Personen in Genf war der sehr einflussreiche muslimische Intellektuelle und Publizist Tariq Ramadan ein Dorn im Auge», stellt Buchbinder fest. Bei der Untersuchung gehe es denn auch weniger um juristische Aspekte, als vielmehr darum, die Glaubwürdigkeit des umstrittenen Ramadan auf den Prüfstand zu stellen.