Seit Impfen gegen das Coronavirus in der Schweiz möglich ist, werden zuerst die vulnerablen Personen geschützt. Die Diskussion, ob sich in den Alters- und Pflegeheimen auch die Pflegerinnen und Pfleger impfen sollten, bewegt derweil die Gemüter.
Weiterbildung nur mit Impfung
Das Altersheim Kohlfirst im Zürcher Weinland hat es sich auf die Fahne geschrieben, dass längerfristig alle Angestellten gegen Covid-19 geimpft sind. Dafür setzt es das Pflegepersonal mit neuen Massnahmen unter Druck. So erfolgen mehr Tests für Nicht-Geimpfte, bei Neubewerbungen oder Pensumserhöhungen werden geimpfte oder impfwillige Fachkräfte bevorzugt und externe Weiterbildungen werden nur noch geimpften Arbeitnehmern genehmigt.
Unter einem Teil der Angestellten regt sich Widerstand. In einem Mail stellen sie den rechtlichen Rahmen in Frage. Man fühle sich erschüttert über den scheinbar schamlos diskriminierenden Beschluss des Vorstands, heisst es.
Heimleitung sieht keine Diskriminierung
Das Heim Kohlfirst ist anderer Meinung. Ende 2020 hatte hier das Coronavirus heftig grassiert. Die Situation habe die Verantwortlichen «an den Rand des Erträglichen» gebracht. «Wir leiden jetzt noch massiv darunter», sagt Markus Späth, Präsident des Zweckverbandes Kohlfirst. Etwa ein halbes Dutzend der Angestellten würden unter Langzeitfolgen leiden, eine Person sei immer noch zu 100 Prozent arbeitsunfähig und unter den Bewohnern seien 15 Personen verstorben.
Das ist keine Diskriminierung. Es geht um Schutz und Freiheit.
Zu den umstrittenen neuen Massnahmen hält Späth fest: «Das ist keine Diskriminierung. Es geht um Schutz und Freiheit: Für das Personal, damit es nicht nochmals zu einer solch schwierigen Situation kommt. Und für die Heimbewohner, damit sie ihre Angehörigen normal treffen können.»
Dass man unterscheidet zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften, ist eine sehr heikle ethische Frage – nicht nur beim Pflegepersonal.
Branchenverband betont Freiwilligkeit
Dieser Druck kommt indes beim eigenen Branchenverband nicht gut an. Bereits im Dezember hatte er zusammen mit Berufsverbänden ein Positionspapier veröffentlicht mit der Botschaft: kein Impfdruck beim Pflegepersonal. Dazu Daniel Höchli, Geschäftsführer von Curaviva Schweiz: «Dass man unterscheidet zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften, ist eine sehr heikle ethische Frage – nicht nur beim Pflegepersonal. Aus unserer Sicht ist es wichtiger, dass man die Freiwilligkeit akzeptiert und gut informiert.»
Wie sieht das Ganze rechtlich aus? Roger Rudolph ist Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich. Die Frage sei in der Tat schwierig zu beantworten: «Es fehlt dafür eine gesetzliche Grundlage.» Man könne sich an der Rechtsprechung orientieren, aber auch hier würde man praktisch nichts finden dazu.
Im schlimmsten Fall könnte eine Kündigung ausgesprochen werden.
«Klar ist, dass niemand physisch, also beispielsweise unter Polizeigewalt, gezwungen werden kann, sich impfen zu lassen», so Rudolph. Die Frage sei, ob der Arbeitgeber Massnahmen ergreifen könne, wenn sich jemand weigert. Die Palette der möglichen Massnahmen sei gross: «Man könnte gewisse Privilegien nicht erhalten. Es könnten Versetzungen sein. Im schlimmsten Fall sogar die Kündigung.»
Das Altersheim Kohlfirst bleibt bei den Massnahmen. Mittlerweile haben sich rund 70 Prozent des Personals für die Covid-Impfung entschieden. Der Druck, der dafür aufgesetzt wurde, bleibt aber umstritten.