Wenn der Berg ruft, kann es gefährlich werden: Im vergangenen Jahr sind 3500 Personen in den Bergen in eine Notlage geraten. Fast ein Drittel davon war unverletzt, hatte sich aber verstiegen oder war so erschöpft, dass sie nicht mehr weiter kamen. Gerade solche Fälle gebe es in den letzten Jahren häufiger, stellen Bergretterinnen und Bergretter fest: Weil immer mehr Leute in den Bergen unterwegs sind.
Wenn es plötzlich nicht mehr weitergeht
Die Zahlen des Schweizerischen Alpenclubs sind deutlich: Im letzten Jahr mussten rund doppelt so viele Menschen unverletzt aus Notlagen befreit werden wie in den Jahren vor der Pandemie. Das merkt auch Ernst Gabriel, Rettungschef bei einer Bündner Sektion des Schweizerischen Alpenclubs SAC.
Er nennt Beispiele von Menschen, die plötzlich in eine missliche Lage gerieten: «Sie haben sich verstiegen und wissen nicht mehr, wo sie sind. Oder sind so blockiert, dass sie selbstständig weder zurück noch vorwärtsgehen können.»
Während der Pandemie haben viele den Bergsport für sich entdeckt – heute sind mehr Menschen in den Bergen unterwegs. Das ist aus Sicht der Bergretterinnen der Hauptgrund für die Zunahme der Notfälle. Dass man mehr Menschen unverletzt aus den Bergen retten muss, sei an sich keine schlechte Entwicklung, sagt Alice Vollenweider, Präsidentin der Alpinen Rettung Graubünden. 2024 gab es nämlich weniger Todesfälle beim Bergwandern.
Gesamthaft betrachtet handle es sich um eine sehr positive Entwicklung, findet Vollenweider. «Es ist ja grundsätzlich schön, wenn mehr Leute in die Berge gehen. Wenn sie dann noch einschätzen können, wann es zu gefährlich wird, ist das aus unserer Sicht ebenfalls eine positive Entwicklung.»
Aus anderen Bergregionen, etwa dem Alpstein in der Ostschweiz, liest und hört man immer wieder von Berggängern, die schlecht ausgerüstet sind. Die sich etwa mit Turnschuhen in die Felsen wagen. Das komme durchaus vor, sagt auch Vollenweider.
Wenn ein sehr geübter Berggänger einen Trail-Run in Turnschuhen macht, ist das eine adäquate Ausrüstung.
Allerdings dürfe man nicht gleich alle verurteilen, die vermeintlich schlecht ausgerüstet sind. «Wenn ein sehr geübter Berggänger einen Trail-Run in Turnschuhen macht, ist das eine adäquate Ausrüstung. Für jemanden, der das erste Mal auf einem rot-weissen Weg unterwegs ist, ist sie das natürlich nicht.»
Und es seien nicht nur ungeübte Bergsportler, die sich verlaufen und nicht mehr weiterkommen. Bergretter Gabriel hat schon alle möglichen Einsätze erlebt: Junge Menschen, die im Frühling ins verschneite Hochgebirge gingen, umherirrten und in den Felsen hängen blieben. Ältere Menschen, die sich beim Pilzlen verliefen. Oder auch Skifahrerinnen und -fahrer, die Berghänge herunterfuhren und auf halbem Weg merkten, dass es nicht mehr weitergeht.
Einsätze, die man leichter verdaut
1175 Mal mussten die Spezialisten des SAC im letzten Jahr zusammen mit der Rega ausrücken, um unverletzte Personen aus Notlagen zu befreien. Und ja, sagt Vollenweider, natürlich schüttle man auch mal den Kopf, wenn sich wieder jemand überschätzt hat. «Klar macht man unterwegs mal einen Spruch, das ist Teil der Psychohygiene. Diese Einsätze kann man aber viel einfacher abschliessen, als wenn es um Schwerverletzte oder tödlich verunglückte Personen geht.»
Das Fazit für die Bergrettung ist also klar: Solange weniger Menschen in den Bergen sterben, nimmt man die zusätzlichen Einsätze für Unverletzte gerne in Kauf.