Der ehemalige Spitzensportler Severin Moser ist seit rund 100 Tagen neuer Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Der 61-Jährige setzt sich für die Berufslehre ein, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Im «SRF Tagesgespräch» gibt Moser sein erstes Interview.
SRF News: Sie waren Manager in der Versicherungsbranche und sind der erste Präsident in der Geschichte des Arbeitgeberverbandes, der nicht Unternehmer war. Wie schaffen Sie es, alle Branchen zu vertreten?
Severin Moser: Ich war in dieser ersten Zeit viel unterwegs. Wenn man gut zuhört, nicht nur mit dem «Versicherungsbranchen-Ohr», dann merkt man, was die Bedürfnisse sind und wo der Schuh drückt.
Wo drückt der Schuh?
Das schwierigste Thema ist, überhaupt Arbeitskräfte zu finden. In den nächsten Jahren werden viel mehr Leute pensioniert, als dass Junge zu arbeiten beginnen. Bis 2030 werden wir im Schweizer Arbeitsmarkt rund eine halbe Million Arbeitskräfte zu wenig haben.
Was sehen Sie für Lösungen nach Ihren ersten 100 Tagen?
Wir müssen die inländischen Arbeitskräfte besser nutzen: Bessere Kinderbetreuung, auch Personen über 65 sollen freiwillig länger arbeiten können. Bei der Arbeitsmigration müssen wir uns politisch einig werden, was wir wollen.
Wir sollten ein System mit einem flexiblen Rentenalter haben.
Sei es bei Arbeitskräften aus dem EU-Raum, aber auch aus Drittstaaten. Wie viele wollen wir zulassen? Und wir müssen uns überlegen, wie wir mit weniger Leuten in den Unternehmen den Output erhöhen.
Was ist denn das richtige Rentenalter?
Das richtige Rentenalter gibt es nicht. Wir sollten ein System mit einem flexiblen Rentenalter haben. Mit einem Referenz-Rentenalter für die Sozialversicherung. Wir sollten es den Individuen überlassen, ob man eher etwas früher oder etwas später aufhören möchte zu arbeiten. Wir müssen uns fragen, ob wir mit unserem System die künftigen Renten noch finanzieren können.
Die Gewerkschaften fordern fünf Prozent Lohnerhöhung, damit die Reallöhne nicht sinken. Wie stehen Sie dazu?
Pauschal von fünf Prozent zu reden, ist nicht möglich. Nicht alle Firmen können sich das leisten. Die KMU müssen selbst schauen, wie sie über die Runden kommen. Mit ein paar Ausnahmen werden die Löhne wohl kaum um fünf Prozent erhöht werden.
Sie sind gegen einen automatischen Teuerungsausgleich. Wieso?
Kein Automatismus ist gerecht. Jedes Unternehmen sucht für sich die beste Lösung. Man kann auch andere Erleichterungen gewähren, statt nur immer über Lohnerhöhungen zu sprechen – Homeoffice oder familienverträgliche Sitzungszeiten beispielsweise. Bei einem automatischen Teuerungsausgleich hätten wir in den letzten zehn Jahren die Löhne mehrmals kürzen müssen.
Für den Arbeitgeberverband ist klar: Wir brauchen geordnete Verhältnisse mit der EU.
Ein weiterer Knackpunkt ist das EU-Dossier. Sie als ehemaliger Spitzensportler: Welche Sportart ähnelt diesen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU am meisten?
Es ist ein Zehnkampf: Manchmal hat es Hürden, die man möglichst elegant überwinden muss, manchmal hat es einen weiten Graben zwischen den Meinungen oder die Latte liegt zum Teil sehr hoch. Das EU-Dossier ist vielschichtig und kompliziert. Das eine sind die inhaltlichen Fragen, das andere ist das Verhalten in den Verhandlungen.
Was meinen Sie damit?
Der Ton in den Verhandlungen muss stimmen. Wir haben erlebt, was passiert, wenn man Verhandlungen – zumindest in der Meinung der Einen – von einer Seite aus abbricht. Das führt dann zu Ressentiments, die nicht so einfach zu überwinden sind. Für den Arbeitgeberverband ist klar: Wir brauchen geordnete Verhältnisse mit der EU.
Das Gespräch führte David Karasek.