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Arbeitgeberverbandspräsident «Die Gefahr ist gross, dass wir in eine Rezession abgleiten»

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes sieht in der tendenziell guten Ausbildung der ukrainischen Geflüchteten zwar auch eine Chance für die Schweiz. Im Vordergrund stehe aber eine gute Aufnahme der Menschen, sagt Valentin Vogt im Interview. Sorgen bereitet ihm die Wirtschaftsentwicklung.

Valentin Vogt

Präsident Arbeitgeberverband

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Seit 2011 ist Valentin Vogt Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Er vertritt die Interessen der Unternehmen.

SRF: Bis zu 50'000 ukrainische Geflüchtete erwartet der Bundesrat bis Juni – und sie dürfen sofort arbeiten. Werden sich die Unternehmen um sie reissen, angesichts des Fachkräftemangels?

Valentin Vogt: Wir Arbeitgeber sind schockiert über die Zustände in der Ukraine. Und wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Flüchtenden hier gut aufgenommen werden und wir sie in der Zeit, in der sie hier sind, auch gut integrieren können.

Indem Sie ihnen Jobs anbieten?

Wir haben uns heute mit der Bundesrätin getroffen, um genau diese Fragen abzuklären. Wir haben viele Fragen zur Qualifikation dieser Leute, aber auch zu den Prozessen, wenn sie arbeiten wollen. Wir haben eine ganz andere Situation als in anderen Jahren. 80 Prozent der Ankommenden sind Frauen, 15 Prozent Minderjährige. Ich glaube, hier müssen wir auch andere Themen anschauen.

Rächt sich jetzt, dass die Schweiz vergleichsweise wenig investiert hat in ausserschulische Betreuungsplätze für Kinder?

Wir rechnen mit maximal 50'000 Leuten, die in die Schweiz kommen werden – bei 5 Millionen Erwerbstätigen. Man kann die grundsätzlichen Themen, wo wir Fortschritte machen, nicht gleich behandeln wie die Themen, die jetzt kurzfristig auf uns zukommen. Die müssen wir auch kurzfristig lösen.

Sie klingen sehr zurückhaltend, was die Anstellung von Geflüchteten betrifft. Andere wie der Chefökonom von BAK Economics reden von einer Chance für die Schweiz. Denn aus der Ukraine und auch aus Russland kämen begehrte Fachkräfte wie Informatiker, Naturwissenschaftler.

Das steht bei uns nicht im Vordergrund. Ich glaube, viele der Ankommenden werden wieder zurückgehen wollen. Das hängt allerdings davon ab, wie sich die Ereignisse in der Ukraine entwickeln.

Und bis dann sollen sie eine Landessprache lernen?

Die Sprache ist der Schlüssel für vieles, für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und natürlich auch an der Arbeit. Arbeit ist ein wichtiger Faktor, um die Leute in diesem Land auch zu integrieren. Darum wollen wir auch unsere Hilfe anbieten.

Wie sieht denn diese Hilfe aus?

Wir haben im Vergleich zu früheren Migrationskrisen Leute, die im Schnitt offensichtlich gut ausgebildet sind. Und hier ergeben sich sicher auch Chancen. Aber das muss gegenseitig sein. Wir müssen etwas bieten können, und die Leute sollen auch profitieren.

Wer soll die Sprachkurse bezahlen? Der Bund?

Wir haben in der Schweiz ein ausgeklügeltes System für die Migration, wo klar ist, wer was macht, Bund und Kantone. Ich glaube, diese Institutionen haben einen guten Job gemacht. Das soll auch in der Zukunft so sein. Wir Arbeitgeber werden dann sicher helfen, wo man uns braucht.

Der Krieg weckt auch wirtschaftliche Befürchtungen. Die Gewerkschaften fordern höhere Löhne, weil die Preise steigen. Wie stehen die Chancen?

Die Unternehmen richten ihre Lohnerhöhungen danach, wie es ihnen wirtschaftlich geht. Wir haben letztes Jahr mit einer ausserordentlichen Lohnrunde, was die Höhe betrifft, bewiesen, dass wir auch etwas zurückgeben können. Es kommt jetzt darauf an, wie sich die Wirtschaft in diesem Jahr entwickeln wird.

Tiefe Preise verwenden Sie in Lohnverhandlungen durchaus als Argument gegen höhere Löhne. Umgekehrt funktioniert das nicht?

Wenn Unternehmen wachsen und Geld verdienen, dann können sie auch höhere Löhne bezahlen. Wenn sie hingegen Schwierigkeiten haben, ist das leider nicht möglich. Und die Löhne in der Schweiz werden ja nicht zentral durch den Arbeitgeberverband festgelegt, sondern dezentral in den Betrieben. Ich glaube, das ist auch gut so!

Was sind Ihre grössten Sorgen für die Wirtschaft?

Die Gefahr ist gross, dass wir jetzt in eine Rezession abgleiten. Ich erinnere daran, dass die Bänder in der deutschen Automobilindustrie seit einer Woche stillstehen. Das wird Einfluss haben auf die Zulieferer in der Schweiz. Wir haben Schwierigkeiten mit der Energieversorgung, wir haben Themen wie Inflation und Staatsverschuldung. Also hier stellen sich schon verschiedene wirtschaftliche Fragen. Wir müssen jetzt schauen, wie es weitergeht.

Sie sind ja auch selbst betroffen als Mitbesitzer einer Firma, die Gaskompressoren herstellt auch für Russland. Dürfen Sie das überhaupt noch?

Wir haben diese Aktivitäten vorläufig eingestellt. Im Moment ist es schwierig, die Übersicht zu behalten, weil sich amerikanische und europäische Sanktionen unterscheiden. Multinationale Konzerne wollen hier sicher nichts falsch machen. Darum haben die meisten beschlossen, mal vier Wochen zu warten.

Heisst das, Sie hoffen, in vier Wochen sei alles vorbei?

Nein, aber dann haben wir hoffentlich mehr Klarheit, was gilt. Die Schweizer Wirtschaft unterstützt die Sanktionen sehr stark. Denn der russische Einmarsch in die Ukraine ist für uns ein Problem. Wir möchten den Staat unterstützen, die Sanktionen auch durchsetzen zu können.

Das Gespräch führte Nathalie Christen.

Tagesschau, 16.02.2022, 18:00 Uhr ; 

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