Mit der Ersatzwahl für den frei werdenden Ständeratssitz von Paul Rechsteiner im März eröffnet der Kanton St. Gallen das Wahljahr 2023. Nach 36 Jahren im Bundeshaus trat der SP-Ständerat auf Ende Jahr zurück. Ein taktischer Entscheid, der der Linken ihren Sitz erhalten soll.
Vier Nationalrätinnen konkurrieren nun um Rechsteiners Nachfolge. Barbara Gysi soll den Sitz für die SP verteidigen, Susanne Vincenz-Stauffacher will den Sitz für die FDP zurückholen, die SVP schickt Esther Friedli und die Grünen Franziska Ryser ins Rennen.
Wie bewältigen wir den Bevölkerungszuwachs?
Die Kandidatinnen stellten sich in der «Arena» drängenden Fragen, die die Ostschweiz, aber auch das ganze Land bewegen. Ein Thema, das – insbesondere auch mit Blick auf den Grenzkanton St. Gallen – besonders zu reden gab, ist die Zuwanderung. Denn dieses Jahr wird die Schweizer Bevölkerung auf 9 Millionen wachsen.
«Seien es die Autostaus, die überfüllten Züge, die steigenden Wohnkosten, wir merken das Bevölkerungswachstum täglich», sagte Esther Friedli. Die Zuwanderung habe ein Ausmass angenommen, das nicht mehr tragbar sei: «Es ist dringend notwendig, Massnahmen zu ergreifen.»
Grüne-Nationalrätin Franziska Ryser hingegen sieht darin vielmehr eine positive Entwicklung: «Sie zeigt, dass unsere Wirtschaft gut läuft und wir eine hohe Lebensqualität haben.» Die Befürchtungen, die man bei der Einführung der Personenfreizügigkeit hatte, hätten sich nicht bewahrheitet. «Wir haben die tiefste Arbeitslosenquote und benötigen dringend Fachkräfte aus dem Ausland.»
«Wir profitieren von der Personenfreizügigkeit», sagte auch Susanne Vincenz-Stauffacher. Denn Zugezogene aus der EU und den EFTA-Staaten füllten nicht nur vakante Stellen, sie zahlten auch Steuern und AHV-Beiträge. Zudem ermögliche es das Abkommen auch den Schweizerinnen und Schweizern, sich im EU-Raum frei zu bewegen.
Wir müssen verdichtet bauen und brauchen kluge neue Konzepte wie kollektive Wohnformen.
Das Bevölkerungswachstum führe aber zu einer Negativspirale, entgegnete Friedli. Ein Zuwachs an Fachkräften habe auch Auswirkungen auf Infrastruktur und Versorgungssicherheit, was wiederum zu mehr offenen Stellen führe. Zudem gebe es neben den Fachkräften auch eine hohe Zahl illegaler Migrantinnen und Migranten, gab Friedli zu Bedenken.
Für Barbara Gysi ist die Zuwanderung häufig nicht das primäre Problem. So sei heute etwa der Flächenbedarf generell grösser. «Die Ansprüche sind gestiegen. Wenn jeder und jede mit dem eigenen Auto in die Stadt fährt, dann braucht das mehr Strassen, wenn Einzelpersonen zunehmend allein wohnen, braucht das mehr Wohnraum.» Als Lösung schlägt Gysi verdichtetes Bauen und neue Konzepte wie kollektive Wohnformen vor.
Spitäler, Olma, HSG: Baustellen des Kantons St. Gallen
In der «Arena» wurden weitere landesweite Herausforderungen diskutiert, wie die Energiepolitik oder das Rentensystem. Aber auch aktuelle Baustellen im Kanton St. Gallen gaben zu reden. Denn die Interessen des Kantons wird eine der vier Nationalrätinnen wohl bald im Ständerat vertreten, zusammen mit dem bisherigen Mitte-Ständerat Benedikt Würth.
So stand neben der Frage, ob kriselnde Skigebiete wie Wildhaus im Toggenburg leichter Kurzarbeitsgelder beantragen können sollen, etwa die kriselnde Finanz- und Personalsituation der St. Galler Spitäler im Fokus. Das Kantonsparlament musste zuletzt ein Sanierungspaket von 163 Millionen Franken sprechen, um die Spitalverbunde zu unterstützen.
Während sich die beiden bürgerlichen Politikerinnen eine Privatisierung der Spitäler vorstellen können, kommt das für ihre Kontrahentinnen nicht infrage.
So unterschiedlich die Meinungen der vier Kandidatinnen sein mögen, zu Ende der Sendung fand die Runde doch noch einen gemeinsamen Nenner: Eine St. Galler Bratwurst mit Senf zu essen, ist – wie könnte es anders sein – ein klares No-Go.