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«Arena» zum Ukraine-Krieg Sicherheitspolitik: Soll die Schweiz auf- oder abrüsten?

Bürgerliche fordern mehr Geld für die Armee. SP und Grüne kritisieren, dass der Krieg in der Ukraine für Rüstungsvorhaben ausgenutzt werde. In der «Arena» ging es um die Frage, wie es um die Sicherheitslage der Schweiz steht.

«Seitdem das grösste Land der Welt das grösste Land in Europa angegriffen hat, ist die europäische Sicherheitsarchitektur unter Beschuss», sagte Strategieexperte Marcel Berni in der «Arena» am Freitagabend. Bei vielen Schweizerinnen und Schweizern habe das Angst vor Krieg geschürt. Die Politik sei nun gefragt, eine Antwort zu liefern.

In der Tat habe sich die Bedrohungslage für die Schweiz massiv verändert, sagte FDP-Ständerat Josef Dittli. Er sei sehr beunruhigt über Putins unverhohlene Drohungen und über die Möglichkeit, dass der russische Präsident andere Staaten ins Visier nehmen oder Nuklear- oder chemische Waffen einsetzen könnte. «Wir haben Handlungsbedarf in der Schweizer Sicherheitspolitik», so Dittli.

Die Gäste im Studio

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  • Sarah Wyss , Nationalrätin SP/BS
  • Josef Dittli , Ständerat FDP/UR
  • Andrea Gmür-Schönenberger , Ständerätin Die Mitte/LU
  • Marionna Schlatter , Nationalrätin Grüne/ZH

Im Vis-à-vis:

  • Alex Fossati , Unternehmer
  • Simon Zumbrunn , Landwirt

Ausserdem im Studio:

  • Marcel Berni , Strategieexperte Militärakademie ETH Zürich

Muss die Schweiz angesichts des Kriegs, der in der Ukraine wütet, ihre Armee aufrüsten? Oder braucht es zuerst eine umfassende Analyse, wie wir unsere Sicherheit erhöhen können? Diese Grundsatzfrage stand im Zentrum der Sendung.

EU-Mitgliedstaaten rüsten auf

So hat etwa Deutschland bereits zusätzliche 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gesprochen. Ob und wie die nationale Sicherheitspolitik anzupassen sei, wird derzeit auch in der Schweiz im Zusammenhang mit der Armeebotschaft 2022 diskutiert.

Es gibt keinen Grund, überhastet Milliarden in die Armee zu pumpen.
Autor: Marionna Schlatter Grüne-Nationalrätin

Mit Waffengewalt könne man langfristig keinen stabilen Frieden erreichen, ist sich Marionna Schlatter als Grüne-Nationalrätin sicher. Gerade der Krieg in der Ukraine zeige, wie schnell eine Situation durch Waffen eskalieren könne. «Es gibt keinen Grund, überhastet Milliarden in die Armee zu pumpen», mahnte Schlatter, und sprach von einem «hohlen Schutzversprechen der bürgerlichen Seite».

Die Schweiz könne sich nicht allein verteidigen

Die Idee, dass sich die Schweiz eigenständig gegen einen Aggressor wie Russland verteidigen könnte, sei absurd. «Man muss die Sicherheit auch anders verstehen.» Denn die Abhängigkeit von russischem Gas beispielsweise sei ein sicherheitsrelevantes Problem. Darauf müsse man sich konzentrieren, was wirklich mehr Schutz bringe – nämlich stabile Beziehungen zu den europäischen Ländern, Völkerrecht, Demokratie und Abrüstung.

Es ist naiv zu meinen, dass die Welt eine bessere wäre, wenn wir keine Waffen hätten.
Autor: Andrea Gmür Mitte-Ständerätin

Nach bürgerlicher Meinung führt unter anderem auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu mehr Sicherheit. So forderte etwa unlängst FDP-Präsident Thierry Burkart in einem Vorstoss die Aufstockung des Armeebudgets um zwei Milliarden Franken. Und auch die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats überwies mit deutlicher Mehrheit eine Motion, die eine schrittweise Erhöhung der Armee-Ausgaben ab 2023 verlangt.

Nur so könne die Armee längst überfällige Anschaffungen tätigen, zeigte sich Andrea Gmür-Schönenberger, Ständerätin Die Mitte, überzeugt. Die Haltung von SP und Grünen sei realitätsfremd. «Es ist naiv zu meinen, dass die Welt eine bessere wäre, wenn wir keine Waffen hätten.» Die Schweiz habe eine defensive Verteidigungsarmee. Es gehe rein um den Schutz der Bevölkerung. Da sei Prävention relevant. «Auch einen Feuerlöscher kauft man im Vorhinein und nicht erst, wenn das Haus schon brennt.»

Mehr Geld zu sprechen, ohne zu wissen, wo es eingesetzt würde, sei grundsätzlich falsch, kritisierte Sarah Wyss. Die SP-Nationalrätin ist nicht prinzipiell dagegen, dass mehr Geld für die Verteidigung gesprochen wird. Zuerst bedürfe es allerdings einer umfassenden Analyse.

«Die Schweiz hat noch keine langfristige Sicherheitsstrategie», sagte Wyss. Die aktuelle Situation dürfe deshalb nicht für Schnellschüsse ausgenutzt werden. Der Aktionismus der Bürgerlichen sei Panikmache. «Unsere Antwort auf den Krieg kann nicht Aufrüstung sein.»

Bürgerliche wollen Armeebudget aufstocken

Diesem Vorwurf widersprach Andrea Gmür-Schönenberger wiederum deutlich und verwies auf den sicherheitspolitischen Bericht des Bundes, der klar vorgebe, was zu tun sei. «Weil das Armeebudget in der Vergangenheit zunehmend gekürzt worden ist, sind Projekte aufgeschoben worden.»

Ständeratskollege Josef Dittli pflichtete bei. Gerade weil der Beschaffungsprozess mehrere Jahre dauere, müssten jetzt günstige Voraussetzungen dafür geschaffen werden. «Mit den zusätzlichen Finanzen können – gestützt auf den Bericht von Verteidigungsministerin Viola Amherd – die Leistungs- und Fähigkeitslücken in der Armee gestopft werden.»

Die Linken sagen Nein zum F-35

Hierzu zählen laut Bundesrat die 55 Kampfjets, die heute im Einsatz sind, bald aber ersetzt werden sollen. Deshalb schlägt der Bundesrat in seiner Armeebotschaft 2022 den Kauf von 36 F-35-Kampfjets vor. Den Stein gelegt hat – wenn auch knapp – die Schweizer Stimmbevölkerung im September 2020. In der Volksabstimmung über den Rahmenkredit von 6 Milliarden Franken für neue Kampfflugzeuge sagten 50.1 Prozent Ja.

Dass das Volk damals zwar über den Kredit, nicht aber über den Kampfjettyp habe abstimmen können, sei problematisch, sagte SP-Nationalrätin Wyss. Sie äusserte Zweifel, ob der geplante Kampfjet den Bedürfnissen der Schweiz gerecht wird. Hinzu käme die Problematik der Kosten, doppelte Nationalrätin Schlatter nach. «Der F-35 wird von vielen Ländern gekauft. Vielerorts haben sie mit massiven Kostenüberschreitungen zu kämpfen, etwa in Grossbritannien.»

«Und trotzdem kaufen alle Länder den F-35 – zum Beispiel Deutschland, Finnland oder Kanada», konterte Gmür. Der Kampfjet habe sich offensichtlich bewährt. Und auch die Experten seien sich einig, dass der F-35 mit Abstand das geeignetste Kampfflugzeug sei. Dittli strich indessen die Bewertungskriterien hervor, nach denen der Kampfjettyp ausgesucht worden war: «Der F-35 schneidet klar am besten ab. Weshalb sollte man sich für das zweitbeste Kampfflugzeug entscheiden?»

Grosse Differenzen in puncto Sicherheitspolitik

Die Offerte für die Beschaffung der Kampfjets laufe Ende März 2023 aus. Wenn der Vertrag bis dann nicht unterschrieben sei, müsse er neu verhandelt werden und das bedeute zusätzliche Kosten. Zudem befürchtet Dittli, dass es zu Verzögerungen bei der Lieferung kommen könnte, weil in der Zwischenzeit andere Staaten den Flieger beschafften und die Schweiz dadurch ins Hintertreffen gerate.

Mit ihrer Volksinitiative «Stopp-F-35» wollen die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA, die SP und die Grünen den Kauf verhindern. Die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative ist derzeit noch in Gang. Schlatter sagte, die Runde habe ihr nochmals gezeigt, dass die Initiative nötig sei.

Was bringt die Volksinitiative?

Der F-35 sei ein Jet, der für den Verbund mit anderen Staaten ausgelegt ist. «Das ist nicht der Kampfjet, den die Schweiz braucht.» Dittli und Gmür machten derweil klar, die Initiative habe keine aufschiebende Wirkung. Heisst: Der Bundesrat könne den Vertrag für den Kauf der F-35-Kampfflugzeuge unterzeichnen, ohne eine etwaige Abstimmung abwarten zu müssen.

Die «Arena» machte eines klar: Die Differenzen zwischen den linken und bürgerlichen Parteien in puncto Sicherheitspolitik sind bisweilen gross. Es ist davon auszugehen, dass die ersten Weichen diesbezüglich noch in diesem Jahr gestellt werden. In der Sommer- und Herbstsession nämlich werden National- und Ständerat voraussichtlich die Armeebotschaft 2022 beraten.

«Arena», 1.4.2022, 22:25 Uhr

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