Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Armeebestände So gross ist die Schweizer Armee – oder so klein

Die Armeebestände seien zu hoch, sagt die Linke. Zu tief, die Bürgerlichen. Ist gar der Zivildienst schuld. Was gilt jetzt?

So gross oder so klein ist die Armee: Die aktuelle Gesetzgebung kennt zwei Zielgrössen. Die Armee hat einen Sollbestand von 100'000 und einen Effektivbestand von maximal 140'000 Dienstpflichtigen. Beides wird aktuell erfüllt oder gar überfüllt. Aktuell liegt der Sollbestand gemäss der letzten Armeeauszählung 2024 bei 99'107.

Der Effektivbestand liegt zurzeit bei 146'974 – also über dem Grenzwert. Ein unrechtmässiger Zustand. Der Bundesrat möchte diese Zielgrösse für eine gewisse Zeit überschreiten dürfen. Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat will den Effektivbestand als Vorgabe ganz abschaffen.

Der Sollbestand und der Effektivbestand erklärt

Box aufklappen Box zuklappen

Der Sollbestand beschreibt die Einsatzarmee. Er umfasst alle militärischen Funktionen, die es in der Armee für einen Einsatz braucht und bei einer Gesamtmobilisierung besetzt werden müssten.

Der Effektivbestand umfasst alle Angehörigen der Armee, die in Formationen eingeteilt sind, Wiederholungskurse (WKs) absolvieren müssen oder nach Abschluss aller WKs noch einige Jahre dienstpflichtig sind. Wird die Armee mobilisiert, müssten alle im Effektivbestand einrücken.

Armee warnt vor Unterbeständen: Der Effektivbestand von 140'000 ist aktuell ein Maximalwert, nicht ein Minimalwert. Die Armee argumentiert aber, es brauche den 40 Prozent höheren Effektivbestand, weil bei einer Mobilisierung nicht alle einrücken können, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen. Die Armee warnt darum vor Lücken in den Beständen ab 2028.

Der Grund dafür liegt bei einer kürzeren Dienstdauer: Der Bundesrat hat die Dienstdauer im Jahr 2018 von 12 Jahren auf 10 Jahre reduziert. Deswegen entlässt die Armee in den Jahren 2028 und 2029 zwei zusätzliche Jahrgänge. Das lässt den Effektivbestand auf 124'300 sinken.

Der Effektivbestand steigt aber wieder an: Ab 2030 steigt der Wert gemäss der Armeeprognose. Eine Projektion über 2035 hinaus will die Armee nicht erstellen, weil sich die Militär- und Ausbildungsdienstpflicht oder die Struktur der Armee bald ändern könnten.

Tiefer Effektivbestand wohl keine Bedrohung für Armee-Einsätze: Ob ein Effektivbestand unter 140'000 die Einsatzarmee bedroht, ist nicht klar. Bei den Coronaeinsätzen sind über 90 Prozent der Mobilisierten eingerückt. Sehr wahrscheinlich bedroht ein tieferer Effektivbestand nicht die Einsatzarmee.

Tarnanzug mit Schweiz-Abzeichen auf Wäscheleine.
Legende: Keine Lust aufs Militär und die Uniform an den Nagel hängen. Gehen der Armee bald die Soldaten aus? Darüber wird politisch gestritten. Keystone / LAURENT GILLIERON

Unterbestände in den Wiederholungskursen: Hingegen ist ein tiefer Effektivbestand in den WKs zu spüren. Von Kommandanten ist zu hören, sie hätten zu wenig Leute, um sinnvoll zu trainieren. Das hat auch mit der Flexibilisierung der Dienstpflicht zu tun – die sechs obligatorischen WKs können über 10 respektive 12 Jahre verteilt werden. Systembedingt sind so nie alle eingeteilten Soldatinnen und Soldaten anwesend.

Ein Buchhaltertrick – eine Dienstpflicht von 12 Jahren

Box aufklappen Box zuklappen

Es gäbe einen einfachen Buchhaltertrick, den Effektivbestand wieder zu erhöhen. Der Bundesrat hat nämlich die gesetzliche Kompetenz, die Dienstpflichtdauer wieder auf 12 Jahre zu verlängern. Damit wäre auf dem Papier der Effektivbestand von 140'000 gerettet. Aber der Bundesrat will nichts davon wissen.

Das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik Sepos im Verteidigungsdepartement VBS schreibt auf Anfrage, eine Verlängerung würde jene noch mehr belasten, die die Dienstpflicht vollständig absolvieren. «Als Folge könnten die Abgänge in den Zivildienst noch mehr zunehmen.»

Das Sepos weist auf die Unterbestände in den WKs hin, die sich bei einer längeren Dienstdauer verschlimmern würden. Denn die sechs WKs würden sich über 12 Jahre verteilen.

Für Soldatinnen und Soldaten würde dies mehr Flexibilität bedeuten, ihre WKs über mehr Jahre zu verteilen. Aber im einzelnen WK wären dann weniger Leute anwesend.

Das Sepos schreibt, darum sei es keine Option, «die Einteilungsdauer ohne Erhöhung der zu leistenden Diensttage zu verlängern.»

Sprich: Wenn man die Dienstpflichtdauer wieder auf 12 Jahre verlängern würde, dann müssten auch die Anzahl Diensttage erhöht werden.

Die Antwort des VBS zeigt: Bei der Diskussion um die Armeebestände geht es hauptsächlich um die Unterbestände in den WKs.

Schuld sei der Zivildienst: Bürgerliche Politikerinnen und Politiker und die Armee sehen im Zivildienst den Grund für die Bestandsprobleme der Armee. Es sei zu einfach, in den Zivildienst zu wechseln. Der zivile Ersatzdienst ist ein Erfolg. Er erfüllt ein Bedürfnis für junge Männer mit einem Gewissenskonflikt. Der Dienst dauert zwar eineinhalbmal länger als der Militärdienst, seit der Abschaffung der Gewissensprüfung steigen aber die Zulassungen. Vor allem die Übertritte nach der Rekrutenschule schmerzen die Armee.

Massnahmen gegen den Wechsel in den Zivildienst: Mit sechs Massnahmen will der Bundesrat und der Nationalrat diese Übertritte erschweren. Es soll unter anderem eine Zivildienst-Mindestdauer von 150 Tagen eingeführt werden. Das soll Soldaten davon abhalten, nach der Rekrutenschule in den Zivildienst zu wechseln. Sie müssten im Verhältnis mehr Zivildiensttage leisten als Zivildienstpflichtige, die sich früher für den Zivildienst entschieden haben. Ob diese Massnahmen etwas bringen, ist umstritten.

Kurz-Analyse: Schattengefecht um den Zivildienst

Box aufklappen Box zuklappen

Die Diskussion um die Armeebestände erinnert an das Gleichnis der Blinden, die einen Elefanten beschreiben sollen. Weil jeder ein anderer Körperteil berührt, beschreibt jeder den Elefanten unterschiedlich.

Ja, die Armee überschreitet den rechtlich zulässigen Effektivbestand. Ja, es gibt Bestandesprobleme in den WKS und diese werden sich wahrscheinlich ab 2028 akzentuieren, aber sich später wieder entspannen.

Nein, der Einsatz der Armee im Ernstfall wäre dadurch sehr wahrscheinlich nicht bedroht. Auf alle Fälle lässt sich das direkt aus den Zahlen nicht ableiten.

Und ja, der Zivildienst ist eine attraktive Option geworden für junge Männer mit einem Gewissenskonflikt und für Armeefrustrierte.

Was oft vergessen geht: Der Zivildienst ist wie die Armee ein sicherheitspolitisches Instrument des Bundes. Er kann bei Notlagen aktiviert werden. Diese jungen Männer und ein paar wenige Frauen tragen zur Sicherheit des Landes bei, wenn sie helfen, Klimafolgeschäden präventiv zu verhindern oder in Gesundheits-Institutionen die Durchhaltefähigkeit in einer Krise zu erhöhen. Zum Beispiel während einer Pandemie.

Soll die Armee in den nächsten Jahren im grösseren Ausmass anwachsen müssen, dann lässt sich dies nur über eine längere Dienstpflichtdauer und mehr Diensttage lösen. Allenfalls mit einer Freiwilligenreserve. Wieso das Potenzial von gut ausgebildeten und einsatzwilligen Soldatinnen und Soldaten nach Abschluss der Dienstpflicht nicht weiter nutzen?

Nüchtern analysiert gibt es also wenig Grund auf den Zivildienst zu zielen.

Diskutieren Sie mit:

Echo der Zeit, 21.9.2025, 18 Uhr;liea

Meistgelesene Artikel