Der Caritas-Markt in Bern ist gut besucht an diesem Mittwochnachmittag. Draussen stehen die Leute Schlange, drinnen steht Louis Venetz an der Kasse und bezahlt: Der 60-Jährige, in verschlissener Lederjacke und Holzfällerhemd, hat nur wenige Lebensmittel im Korb. Ein paar Kartoffeln, zwei Flaschen Tomaten-Salsa, eine Knoblauchknolle, Öl.
Viel braucht der alleinstehende Mann nicht. Und viel mehr könnte er sich auch nicht leisten, obwohl die Lebensmittel hier im Markt subventioniert sind. Die Corona-Pandemie hat ihn arm gemacht – obwohl er arbeitet.
Das Teil-Pensum von 60 Prozent als angestellter Bäcker bringt weniger Lohn ein als vor der Pandemie: «Wir sind ein reiner Lieferbetrieb und haben auch Kurzarbeit gehabt», sagt er.
Einkommen brach in der Pandemie weg
Im Nebenerwerb verkauft Vernetz sonst Raclette im eigenen Imbisswagen, auf Festivals oder Quartierfesten. Doch wegen Corona wurden alle Veranstaltungen abgesagt. «Vor Corona bin ich eigentlich durchgekommen, mit dem, was ich im Nebenverdienst noch hatte. Aber jetzt fehlt mir halt dann schon Geld.»
Wie Louis Venetz geht es vielen Menschen in der Schweiz. Seit Beginn der Corona-Pandemie ist ihr Einkommen weggebrochen, vielen reicht es nur knapp zum Leben.
Die offiziellen Sozialhilfestatistiken spiegeln das noch nicht wider. In Städten wie Zürich ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger im letzten Jahr sogar gesunken. «In Corona-Zeiten haben wir gemerkt, dass es doch eine grosse Zahl von Menschen gibt, für die dieses System eigentlich nicht funktioniert», sagt der Zürcher Sozialvorsteher Rafael Golta (SP).
Darunter seien Menschen, die kein Anrecht auf Sozialhilfe haben oder befürchten, dass sie deswegen ihren Aufenthaltsstatus verlieren könnten. Diese Menschen suchten stattdessen Unterstützung bei Hilfsorganisationen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Den Trend bestätigt auch Caritas-Schweiz-Chef Peter Marbet: «Wir hatten deutlich mehr Personen bei uns in unseren Unterstützungsangeboten. Wir schliessen daraus, dass die Armut gestiegen ist.»
Hilfswerke stossen an ihre Grenzen
Um den neuen Corona-Armen zu helfen, hat die Hilfsorganisation das Instrument der Nothilfe eingeführt und bislang fünf Millionen Franken ausgezahlt. «Corona war für Caritas die grösste Inlandsaktion überhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg», sagt Caritas-Schweiz-Chef Marbet. Angesichts der vielen Bedürftigen kommen die Hilfswerke langsam an ihre Grenzen.
Die Städte sind zur Erkenntnis gelangt, dass es mehr Hilfe für die vielen Corona-Armen braucht. So hat Zürich gerade das Pilotprojekt «Wirtschaftliche Basishilfe» aufgelegt. Sie will Betroffene mit Bargeld unterstützen, ohne dass diese Sozialhilfe beantragen müssen. Dafür sind vorerst zwei Millionen Franken aus Steuergeldern bereitgestellt.
Das Thema kommt langsam in der Politik an
Sozialvorsteher Golta betont aber: «Das ist eine Behelfslösung, eine Übergangslösung für die konkrete Not, mit der wir konfrontiert sind.» Aus rechtlichen Gründen dürfe die Stadt die Basishilfe nicht direkt verteilen, sondern nur indirekt über die Hilfswerke.
SP-Politiker Golta sieht ein grundsätzliches Problem: «Wir haben ein Migrationsrecht, dass Armutsbekämpfung und Prävention – man muss fast sagen – verhindert bis verunmöglicht. Daran muss etwas geändert werden.» Langsam kommt das Thema Corona und Armut auch in der Politik an.