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Asylunterkunft in Windisch Wehrt sich die Mieterschaft, könnte es noch eine Weile dauern

Am Montag teilte der Gemeinderat von Windisch mit, dass ein privater Liegenschaftsbesitzer 49 Personen die Wohnung gekündigt habe. Dieser wolle die Wohnungen dem Kanton vermieten, der dort eine Asylunterkunft plane. Ist das erlaubt? SRF hat bei einer Mietrechtsexpertin nachgefragt.

Alessia Dedual

Expertin für Mietrecht

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Alessia Dedual ist Rechtsprofessorin an der Universität Zürich und führt einen eigenen Lehrstuhl mit Schwerpunkt Obligationenrecht.

SRF: 49 Mieterinnen und Mieter müssen per Ende Juni ihre Wohnungen verlassen. Ist das aus rechtlicher Sicht erlaubt?

Dedual: Ja. In der Schweiz gilt im Mietrecht grundsätzlich die Kündigungsfreiheit. Das heisst: Wenn ich ein unbefristetes Mietverhältnis habe und die Kündigungsfrist einhalte, dann kann ich ohne Angabe eines Grundes jederzeit auf den nächstmöglichen Kündigungstermin künden.

Erfährt die Mieterschaft, warum ihr gekündigt wurde?

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Dedual: «Auf Nachfrage muss der Vermieter die Kündigung begründen. Es wäre sehr interessant, zu sehen, was der Vermieter hier als Grund vorbringt, zumal es keine Eigenbedarfskündigung ist. Anders als im Fall Seegräben ist hier nämlich nicht die Gemeinde oder der Kanton Eigentümer der Liegenschaft.»

Nun haben Sie in diesem spezifischen Fall die Kündigung gesehen. Wie schätzen Sie diese ein?

Was man bereits aus formeller Sicht sagen kann, ist, dass die Kündigung wahrscheinlich gültig ausgesprochen wurde. Sie wurde den Mieterinnen und Mietern auf einem amtlich bewilligten Formular mitgeteilt. Das ist die erste Gültigkeitsvoraussetzung einer Kündigung. Zudem muss sie den richtigen Adressaten – bei Familienwohnungen zum Beispiel beiden Ehegatten separat – zugegangen sein.

Kündigungsschreiben
Legende: ZVG

Was kann die Mieterschaft dagegen unternehmen?

Sie kann innert 30 Tagen die Kündigung bei der zuständigen Schlichtungsbehörde anfechten. Das Gericht würde dann überprüfen, ob die Kündigung missbräuchlich ist. Würde das Gericht dies bejahen, würde es die Kündigung aufheben.

Erstreckung heisst, dass Mieterin und Mieter über den Kündigungstermin hinaus in der Wohnung bleiben dürfen.

Würde das Gericht keine Missbräuchlichkeit feststellen, geht es bei den Betroffenen als Nächstes darum, ob sie eine Erstreckung erhalten. Erstreckung heisst, dass Mieterin und Mieter über den Kündigungstermin hinaus in der Wohnung bleiben dürfen. Hierbei macht das Gericht eine Interessensabwägung zwischen den Interessen der Vermieter- und Mieterseite.

Was bedeutet Missbräuchlichkeit?

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Dedual: «Die Kündigung darf nicht gegen Treu und Glauben verstossen, so das Gesetz. Das heisst, dass eine Kündigung nicht schikanös und ohne schützenswerte Gründe erfolgt sein darf. Ob eine Kündigung missbräuchlich ist, muss ein Gericht im Einzelfall beurteilen.»

Als Beispiel für eine unverhältnismässige Kündigung nennt Dedual auf Nachfrage einen Entscheid des Bundesgerichts. Es ging um eine langjährige herzkranke und depressive Mieterin mit sehr beschränkten finanziellen Mitteln. Dieser wurde gekündigt, weil der Sohn der Vermieterin – ein Student – erstmals alleine wohnen wollte. Hinzu kam, dass er in keine andere freigewordene Wohnung ziehen wollte, weil sein Hund Gartenauslauf benötigte.

Offenbar leben in diesen Wohnungen auch sozial schwächere Menschen. Hat das einen Einfluss auf eine Missbräuchlichkeit der Kündigung?

Für eine Missbräuchlichkeit der Kündigung können auch die persönlichen und finanziellen Verhältnisse der Mieterschaft eine Rolle spielen. Allerdings verstossen Kündigungen aus ökonomischen Gründen grundsätzlich nicht gegen das Gesetz. Eine schwierige finanzielle Lage der Mieterschaft ist vor allem für den Erhalt einer Erstreckung ein ganz wichtiges Kriterium.

Warum?

Eine Erstreckung bekomme ich nur unter der Voraussetzung, dass die Kündigung für Mieterin oder Mieter besonders schwerwiegend ist. Die Mieterschaft kann alle möglichen Gründe für eine Erstreckung geltend machen: schlechte finanzielle Lage, fortgeschrittenes Alter, schwierige Wohnungsfindung, Jobwechsel und so weiter.

Wichtigstes Vermieter-Argument fällt weg

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Bild einer der Immobilie. Es ist ein dreistöckiges Haus. Auf dem Vorplatz sind Parkmöglichkeiten aufgezeichnet.
Legende: Die Wohnungen auf diesem Grundstück sollen für eine Asylunterkunft im Kanton Aargau umgenutzt werden. SRF

Dedual: «Was in diesem Fall noch speziell ist: Der Vermieter ist nicht der Kanton oder die Gemeinde, sondern eine Aktiengesellschaft, die keinen Eigenbedarf angemeldet hat. Damit schwindet ein sehr wichtiges Argument der Vermieterseite auf eine relativ kurze Erstreckungszeit.»

Könnte sich der Fall also in die Länge ziehen?

Ja. Das Gesetz sieht bei einer Erstreckung eine Maximaldauer von vier Jahren vor, die die Schlichtungsbehörde den Betroffenen gewähren könnte. Das ist allerdings sehr lange. Normalerweise sehen wir Mieterstreckungen im Umfang von 6 bis 12 Monaten. Zudem ist es möglich, eine zweite Erstreckung innerhalb der Maximaldauer zu verlangen.

Normalerweise sehen wir Mieterstreckungen im Umfang von 6 bis 12 Monaten.

Wer ist verpflichtet, den Betroffenen bei der Suche einer neuen Bleibe zu helfen?

Das ist Sache der Mieterinnen und Mieter. Was an dieser Stelle noch wichtig ist: Auch erfolglose Suchbemühungen, die dokumentiert werden, können dazu führen, dass eine längere Erstreckung gewährt wird.

Vermieter: Kündigung wegen Sanierungen

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Inzwischen hat sich der Eigentümer der Liegenschaft gegenüber SRF geäussert. Die Immobilienfirma aus Wollerau (SZ) betont in einer schriftlichen Stellungnahme, dass sie den Mieterinnen und Mietern «einzig und allein» deshalb gekündigt habe, weil die Liegenschaften demnächst abgerissen würden. Es sei ein Ersatzneubau geplant. Der Kanton habe um eine Zwischennutzung als Asylunterkunft gebeten. Man habe diese Lösung aufgrund der aktuellen Lage als sinnvoll erachtet. Die Kündigung der Mietverhältnisse habe also nichts zu tun mit der möglichen Zwischennutzung als Asylunterkunft. Die Eigentümerin habe inzwischen das Gespräch mit der Gemeinde gesucht.

Das Gespräch führte Deborah Schlatter.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 28.02.2023, 12:03 Uhr ; 

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