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Aufhebung der Covid-Massnahmen Berset: «Wer einen Marathon gemacht hat, denkt an den nächsten»

Wie erwartet hat der Bundesrat die letzten Corona-Schutzmassnahmen aufgehoben. Bereits am 1. April fallen die Isolationspflicht für Infizierte sowie die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und in Gesundheitseinrichtungen. Im Interview erklärt Gesundheitsminister Alain Berset, wieso die Aufhebung der letzten Corona-Massnahmen und die Rückkehr in die normale Lage gerechtfertigt sind.

SRF News: Ist der Marathon jetzt zu Ende?

Alain Berset: Ich hoffe es. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube schon, dass ein grosser Teil gemacht ist. Wir gehen zurück zur normalen Lage.

Die Massnahmen sind alle aufgehoben, aber die Fallzahlen immer noch relativ hoch. Man hätte die Maskenpflicht im ÖV verlängern können, das hätte vulnerablen Personen geholfen. Wieso haben Sie sich dagegen entschieden?

Wir müssen, wir können, und wir wollen diese letzten Massnahmen jetzt aufheben: Mit der Saisonalität, der hohen Immunität und allen Antworten, die wir haben. Das hindert aber sicher nicht daran, dass man sich nach wie vor schützt, dass man eine Maske trägt, wenn man es will. Und dass man ein bisschen aufpasst.

Machen Sie es sich da nicht etwas zu einfach? Man ist automatisch weniger gut geschützt, wenn man der Einzige ist, der eine Maske trägt, selbst wenn es eine FFP2 ist.

Seit mehreren Monaten ist der Massstab für uns die Auslastung des Spitalsystems. Das ist keine Bedrohung mehr im Moment. Daher ist es nur logisch, dass man Schritt für Schritt die Massnahmen aufhebt.

Vulnerable Personen sind gut geschützt und wir haben eine hohe Immunität in der Bevölkerung.

Der Bundespräsident hat kürzlich in einem Interview gesagt, das Virus sei nicht mehr gefährlich für die Gesundheit. Andere vergleichen es mit einer Grippe. Sehen Sie das auch so?

Die Mutationen, die gekommen sind und die guten Antworten, die wir gehabt haben: Das hat schon geholfen. Es gibt zum Beispiel viel weniger Todesfälle für die Anzahl von Ansteckungen als vorher. Vulnerable Personen sind gut geschützt und wir haben eine hohe Immunität in der Bevölkerung.

Ihr deutscher Amtskollege, Karl Lauterbach, hat Vergleiche mit Grippeviren als «Sabotage» bezeichnet und warnt vor einer Relativierung der Situation. Weshalb schätzen Sie die Lage so anders ein?

Ich werde die Antworten meines Amtskollegen nicht kommentieren. Er spricht für Deutschland und ich für die Schweiz. Wir haben zwei Jahre lang versucht, die besten Antworten zu liefern, mit Impfung, Medikamenten und so weiter. Und danach zu schauen, dass man sich entwickeln kann, ohne das Risiko einer Überlastung der Spitäler einzugehen. Jetzt ist das vorbei. Die Fallzahlen sinken, das tun sie übrigens auch in Deutschland. Das Virus ist sicher noch nicht ganz harmlos. Aber die Situation ist schon viel besser, weil wir heute viel mehr wissen als noch vor zwei Jahren.

Alain Berset.
Legende: Ein Bild, an das wir uns während zwei Jahren Pandemie gewöhnt haben: Regelmässig gab Bundesrat Alain Berset vor den Medien in Bern Updates zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie. Keystone

Sie plädieren auch für Eigenverantwortung. Wer diese wahrnehmen und sich zum zweiten Mal boostern lassen will, hat es in der Schweiz schwer. Kann man da die Eigenverantwortung überhaupt wahrnehmen?

  Ein Arzt kann jederzeit eine zusätzliche Impfung verabreichen.

Aber er trägt auch das Risiko, oder?

Dieses Risiko tragen Sie sowieso. Die Impfungen, die wir haben, sind sehr gut und sicher. Für vulnerable Personen wäre es problemlos möglich, wenn es notwendig ist, eine Impfung zu bekommen. Daher ist die vierte Dosis auch noch nicht generell empfohlen für eine Bevölkerungsgruppe. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt. Wir haben mit Sicherheit genug Impfungen für 2022/23.

Mit der Rückkehr zur normalen Lage sind die Kantone in der Hauptverantwortung. Was muss Ihr Departement trotzdem vorbereiten für den nächsten Herbst?

Alles, was wir normalerweise tun. Das heisst, alles was den Kauf von Impfungen, Medikamenten und die Überwachung der Pandemie betrifft. Auch alles, was die Kostenübernahme für Tests betrifft. Was sich am Freitag ändern wird: Überall dort, wo der Bund die Kompetenzen der Kantone übernehmen musste, geht es wieder in Kantonshände.

Es ist höchste Zeit, dass die Kantone mit allem, was sie gelernt haben, in der Lage sind, die Situation auch mit eigenen Kräften zu meistern.

Es ist Sinn und Zweck des Föderalismus, dass wir das zusammen meistern können. Wir sind der Ansicht, dass es so bleiben muss nach zwei Jahren Pandemie. Es ist höchste Zeit, dass die Kantone mit allem, was sie gelernt haben, in der Lage sind, die Situation auch mit eigenen Kräften zu meistern.

Die Corona-Krise war der bisherige Höhepunkt Ihrer Karriere. Wären Sie ein Marathonläufer, würde längst über Ihren Rücktritt spekuliert. Haben Sie darüber nachgedacht?

Wer einen Marathon gemacht hat, denkt schon an den nächsten. Ich hoffe nicht, dass ein nächstes Problem kommt. Aber ehrlich gesagt war es schon eine anstrengende Zeit. Es waren brutale zwei Jahre. Nicht nur für mich. Auch für die Schweizer Bevölkerung, die Unternehmen, den Gastrobereich, die Kultur, die Familien, die Politik, das Parlament, die Kantone – und auch für den Bundesrat.

Das Gespräch führte Larissa Rhyn.

Tagesschau, 30.03.2022, 18:00 Uhr ; 

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