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Aus Syrien gerettete Mädchen Trennung von Mutter erschwert die Integration in der Schweiz

Eine Genferin hatte ihre Kinder zum IS entführt. Nun sind die Kinder wieder in der Schweiz. Die Mutter musste aber in Syrien bleiben – «kontraproduktiv», sagen Experten.

Nach fünf Jahren im Kriegsgebiet plötzlich wieder in der sicheren Schweiz: Damit sind die heute 9- und die 15-Jährige seit gut einem Monat konfrontiert. «Das Wichtigste ist, dass die Kinder in eine Normalität kommen. Dass die Kinder an einen Ort kommen, der fest verankert ist, wo sie wissen, das ist jetzt erstmal mein sicheres Zuhause», sagt Thomas Mücke von der deutschen Organisation «Violence Prevention Network», die in mehreren Bundesländern an der Reintegration von Frauen aus dem IS beteiligt ist.

Das Wichtigste ist, dass die Kinder an einen Ort kommen, wo sie wissen, das ist jetzt erstmal mein sicheres Zuhause.
Autor: Thomas Mücke Deradikalisierungs-Experte

Wo die beiden Halbschwestern leben, halten die Genfer Behörden geheim. Infrage kommen wohl die Väter der Mädchen, die sich für deren Rückführung eingesetzt hatten, oder andere Personen aus dem familiären Umfeld.

Wenn ein sicherer Ort gefunden werde – an dem die Kinder selbstverständlich nicht weiter radikalisiert werden – und bei einer funktionierenden Integration in der Schule stünden die Aussichten auf eine Reintegration meistens gut, sagt Mücke.

Es geht um Opfer, nicht um Täter.
Autor: Thomas Mücke Deradikalisierungs-Experte

Entscheidend sei, dass die Kinder nicht als Gefahr wahrgenommen würden: «Es geht um Opfer, nicht um Täter.» 

Von der Mutter getrennt

Eine Belastung für die Integration bestehe aber, sagt Mücke. Die Mutter musste zurückbleiben im syrischen Camp, die Schweiz hat ihr die Staatsbürgerschaft entzogen. Die Mutter hatte die Kinder ohne das Wissen der Väter nach Syrien entführt und sich lange gegen eine Rückführung der Mädchen ohne sie geweigert, zuletzt aber eingewilligt.

Die Strategie des Bundesrats

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Was im Fall der beiden Genfer Mädchen erstmals umgesetzt wurde, entspricht der Strategie des Bundesrats, die heisst: Dschihad-Reisenden mit Doppelbürgerschaften, wie sie die Mutter hatte, wird die Schweizer Staatsbürgerschaft entzogen. Und zurückgebracht aus Internierungslagern oder Gefängnissen werden nach einer Fall-zu-Fall-Prüfung einzig Kinder, keine Erwachsenen.

Obwohl sich noch weitere Schweizer Kinder und deren Mütter in syrischen Camps befinden und sich damit die Frage der Trennung in weiteren Fällen stellen dürfte, scheint der Bund an dieser Strategie festhalten zu wollen.

Strategieänderung soll diskutiert werden

Einzelne Fachleute aus der Bundesverwaltung wollten gemäss Recherchen von SRF im Herbst offenbar darauf zurückkommen und stellten eine Strategieänderung zur Diskussion. Dies auch, weil westeuropäische Staaten vermehrt dazu übergingen, auch Mütter zu repatriieren.

Die inhaftierten IS-Verdächtigen aus Europa stellen ein Sicherheitsrisiko für die Region dar. Kurdisch geführte Truppen, die im Norden und Osten des Landes eine Selbstverwaltung aufgebaut haben, bewachen die Camps und Gefängnisse. Immer wieder kommt es zu Unruhen und Ausbruchsversuchen. Deshalb fordern die Kurden schon länger, dass die Heimatländer ihre Landsleute repatriieren.

Zuständig wäre zunächst der dreiköpfige Sicherheitsausschuss des Bundesrats. Doch in diesem Gremium überwiegen offenbar die Sicherheitsbedenken einer Rückführung der Mütter. Deshalb scheint derzeit keine Strategieänderung absehbar.

Eine IS-Anhängerin als Mutter – zweifellos kein gutes Vorbild für die Kinder. Dennoch ist eine Beziehung zu den Eltern ein Kinderrecht, selbst wenn es sich um Straftäterinnen handelt. Dem will die Schweiz gemäss den SRF-Recherchen nachkommen, indem sie einen täglichen Kontakt zur Mutter sicherstellen, wahrscheinlich per Videotelefon ins Camp.

Die Trennung kann kontraproduktiv sein

Anders verfährt Deutschland: Dort werden die Mütter von Kindern ebenfalls aus den Camps zurückgeholt – gerade auch, weil das förderlich für die Reintegration sei, so Mücke. Wobei die Mütter teils strafrechtlich verfolgt werden und einige in Untersuchungshaft genommen werden. Dort kommen aber Besuche infrage, der Kontakt ist auch physisch möglich, teils unter Aufsicht. Und nicht zuletzt würden sich auch viele Mütter um der Kinder willen eher von der extremen Ideologie lossagen.

‹Warum hat mir der Staat die wichtigste Person in meinem Leben weggenommen?› Diese Frage wird eines Tages kommen.
Autor: Thomas Mücke Deradikalisierungs-Experte

Deshalb hält Mücke dies für die bessere Strategie, denn: «Die Trennung kann kontraproduktiv sein und es gibt plötzlich Fragen: ‹Warum hat mir der Staat wichtigste Person in meinem Leben, zu der ich mir Nähe wünschte, weggenommen?› Diese Frage wird eines Tages kommen.»

Ein drittes Kind bleibt in Syrien

Auch der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, der Schweizer Nils Melzer, kritisiert die Trennung. Denn er erinnert daran, dass nicht nur die Mutter im Camp in Syrien zurückgelassen wurde, sondern auch ein drittes Kind: vier Jahre alt, ein Halbgeschwister der zurückgekehrten Mädchen. Das Kind ging aus einer Beziehung der Genferin zu einem IS-Kämpfer hervor, kam in Syrien zur Welt. Da die Mutter damals noch die Schweizer Staatsbürgerschaft besass, steht diese auch dem dritten Kind zu.

Mit dieser Aktion hat man jetzt natürlich eine Familie auseinandergerissen.
Autor: Nils Melzer UNO-Sonderberichterstatter für Folter

Dieses Kleinkind wollte die Mutter nicht zurückbringen lassen. «Mit dieser Aktion hat man jetzt natürlich eine Familie auseinandergerissen», sagt Melzer. Auch er meint, diese Trennung belaste wohl die Integration der beiden zurückgebrachten Mädchen.

Immerhin: Heute leben sie wieder im Umfeld ihrer Verwandten in Genf, besuchen wieder die Schule, anstatt in einem syrischen Internierungscamp leben zu müssen.

10 vor 10, 06.01.2022, 21:50 Uhr

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