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Ungewisse Zukunft für Forschungsstandort Schweiz
Aus Einfach Politik vom 25.03.2022. Bild: SRF
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Ausschluss aus «Horizon» Ungewisse Zukunft für Forschungsplatz Schweiz

Die Schweiz ist nicht mehr dabei beim 100-Milliarden-Euro schweren Forschungsprogramm «Horizon EUROPE». Jetzt schlägt die Schweiz einen Neustart mit der Europäischen Union vor. Ob so die Schweizer Forschenden schnell wieder um EU-Gelder buhlen können, ist aber fraglich.

Martina Hirayama wägt ihre Worte besonders genau ab, wenn es ums Thema «Horizon Europe» geht. Das Dossier ist wohl das heikelste, das die Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation zurzeit beschäftigt. Denn seit Brüssel die Forschungszusammenarbeit abhängig macht vom generellen «Beziehungsstatus» zwischen der Schweiz und der EU geht es nicht nur um Wissenschaft und Forschung, sondern auch sehr stark um Politik.

Die Frau trägt ein schwarzes Jackett. An einer Medienkonferenz spricht sie mit Handbewegungen zu den Journalist:innen.
Legende: Martina Hirayama, Direktorin des SBFI Sie leitet das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. Keystone

Diese Art Verbindung der zwei Bereiche gefällt der gelernten Chemikerin Hirayama gar nicht: «Das ist nicht gut für die Forschung und Innovation in der Schweiz. Aber es ist auch nicht gut für die Forschung und Innovation in Europa. Wir müssen gemeinsam forschen und an Innovationen arbeiten, damit wir fit sind, auch im weltweiten Wettbewerb.», sagt sie.

Die Verbindung von Politik und Wissenschaft ist nicht gut für die Forschung und Innovation in der Schweiz.
Autor: Martina Hirayama Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation

Unterdessen ist die Schweiz um Schadensbegrenzung bemüht. Erste Massnahme: Die begehrten EU-Grants für junge Forschende, die nicht mehr in die Schweiz ausbezahlt werden, berappt die Schweiz direkt. Da die Schweizer Forschenden momentan nicht mehr an den Ausschreibungen teilnehmen können, wird der Schweizerische Nationalfonds (SNF) bald eigene Wettbewerbe durchführen mit in etwa den gleichen Fördersummen.

Noch spricht Hirayama von «Übergangsmassnahmen», für die der Bund jenes Geld einsetzt, das man sonst ins siebenjährige Horizon-Programm investiert hätte – gut sechs Milliarden Franken. Weil sich aber zeigen könnte, dass die volle Rückkehr ins Horizon-Programm länger auf sich warten lässt, denkt man im Staatssekretariat schon weiter: Statt «Übergangsmassnahmen» bräuchte es dann «Ersatzmassnahmen».

Ein Fahnenschwinger steht auf einer Wiese und hält je eine Schweizer Fahne und eine EU-Fahne.
Legende: Stimmungstief zwischen der Schweiz und der EU Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen steht es nicht gut um die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Darunter leiden die Forschenden in der Schweiz. Keystone

 «Irgendwann müssten wir uns dann fragen, ob wir uns nicht voll auf andere Formen der Forschungszusammenarbeit konzentrieren sollen.» Darum hat die Schweiz bereits ihre «Bildungsdiplomatie» intensiviert. Einerseits mit Grossbritannien, das nach dem Brexit in einer ähnlichen Situation ist, andererseits mit den USA, mit denen die Schweiz vor kurzem eine neue Vereinbarung über gemeinsame Forschungsprojekte getroffen hat. Und man verhandle auch direkt mit einzelnen EU-Staaten über Möglichkeiten bilateraler Forschungszusammenarbeit, betont Staatssekretärin Hirayama.

Wir müssen gemeinsam forschen und an Innovationen arbeiten, damit wir fit sind, auch im weltweiten Wettbewerb.
Autor: Martina Hirayama Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation

Parallel dazu gilt es, die politischen Gespräche mit der EU im Auge zu behalten. Der Vorschlag des Bundesrates, über eine Reihe von Themenpaketen parallel zu verhandeln, begrüsst Hirayama. Damit erfülle der Bundesrat eine zentrale Forderung der EU, indem er einen Weg vorschlage, über die Fragen zu verhandeln, die Brüssel so wichtig seien. Dazu gehört der sogenannte Streitschlichtungs-Mechanismus. Also die Frage, wer schlichtet oder richtet, wenn sich die Schweiz und die EU in einer Frage streiten.

Bundesrat Ignazio Cassis und Martina Hirayama sitzen nebeneinander an einem Verhandlungstisch.
Legende: Martina Hirayama an der Seite von Bundesrat Cassis Die beiden setzen sich für den Forschungsstandort Schweiz ein. Keystone

«Es ging der EU darum, dass die Schweiz den Willen aufzeigt, diese institutionellen Fragen zu lösen, und das hat der Bundesrat jetzt getan.» Insofern müsste die EU-Kommission jetzt Wort halten und neuen Verhandlungen aufgrund dieser Paket-Idee zustimmen. So wären auch Verhandlungen über Horizon rasch wieder möglich. Würden solche Verhandlung wieder aufgenommen, könnten sich nach bisheriger Praxis Forschende an Schweizer Universitäten wieder an den europäischen Horizon-Ausschreibungen beteiligen. Das wäre ein erster Schritt zurück in die EU-Forschungszusammenarbeit.

Die EU muss jetzt Wort halten und neuen Verhandlungen mit der Schweiz zustimmen.
Autor: Martina Hirayama Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation

Nur, es könnte auch ganz anders kommen. «Wenn die Europäische Kommission erwartet, dass die institutionellen Fragen mit der Schweiz zuerst abschliessend gelöst sein müssen, dann sind wir in einem ganz anderen Zeithorizont unterwegs», sagt Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation, Martina Hirayama. Dann würde es mit diesem Paketansatz, bei dem ganz unterschiedliche Dossiers gleichzeitig verhandelt werden, wohl Jahre dauern, bis die Schweiz bei den EU-Forschungsprogrammen wieder voll dabei wäre.

Für den Forschungsplatz Schweiz wäre das das Worst-Case-Szenario.  Zwar sind die Schweizer Universitäten, gerade auch die beiden ETH in Zürich und Lausanne, innerhalb Europa betreffend der Qualität in der Spitzengruppe. Aber jede Universität ist nur so gut wie die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die dort arbeiten. Müsste die Schweiz aber länger abseits bleiben, könnte es zu einer schleichenden Abwanderung kommen und die hiesigen Hochschulen verlören ihre Anziehungskraft für ausländische Spitzenwissenschafterinnen und -wissenschafter nach.

Von jenen 28 jungen Forscherinnen und Forschern, die Anfang Jahr ein ERC-Grant zugesprochen bekommen haben, dieses EU-Stipendium über zirka 1,5 Millionen Franken, wollen die meisten in der Schweiz bleiben. Das ergab eine SRF-Umfrage. Grund dafür ist, dass sie das Geld statt aus Brüssel aus Bern bekommen. Das könnte sich aber ändern, wenn die Wettbewerbe dann statt von der EU nur noch vom Schweizerischen Nationalfonds ausgeschrieben werden.

Wer dennoch ein EU-Stipendium möchte, müsste die Schweiz verlassen. Und die Ersatz-Ausschreibungen in der Schweiz hätten ein kleineres Renommee und die Gewinner:innen deswegen mehr Mühe, die besten Leute für ihr Projekt mit ins Boot holen zu können. Das sagt die Basler Neurobiologin Anissa Kempf (s. Kasten), die Anfang Jahr ein ERC-Grant gewinnen konnte: «So ein ERC-Grant ist halt ein Qualitäts-Label. Wenn Du in einer Stellenausschreibungen nicht damit werben kannst, ist das ein Nachteil.»

Stipendien-Gewinnerin aus Basel

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Fruchtfliegen-Forscherin Anissa Kempf
Legende: Fruchtfliegen-Forscherin Anissa Kempf Statt von der EU erhält sie nun von der Schweiz Fördergelder. SRF

1,5 Millionen Euro – so viel Geld bekam die Basler Assistenzprofessorin in Neurobiologie, Anissa Kempf, zugesprochen. Sie gewann ein sogenanntes ERC-Grant, ein Stipendium aus den EU-Fördertöpfen des 100-Milliarden-Euro schweren Horizon-Programms. Doch sie konnte das Geld nicht abholen; beziehungsweise hätte dafür die Schweiz verlassen müssen.

Sie entschied sich dennoch, in der Schweiz zu bleiben. Kempf begründet dies damit, dass der Bund einspringt und ihre Forschung unterstützt. Sie sagt aber auch: «Umziehen und an einem anderen Ort wieder mein Labor einzurichten, wäre ein grosser Mehraufwand gewesen.» Kempf ist erst vor wenigen Monaten von Oxford in Grossbritannien zurück in die Schweiz ans Biozentrum der Universität Basel gekommen.


Dank der ersatzweisen Unterstützung des Forschungsprojekts durch die Schweiz kann sie jetzt ihr Projekt vorantreiben: Sie untersucht mit ihrem internationalen Team das Schlafverhalten von Fruchtfliegen. Dafür beobachtet sie gezielt gezüchtete Fruchtfliegen mit unterschiedlichem Erbgut, mit dem Ziel herauszufinden, welche Faktoren diese kleinen Insekten müde machen. «Wir suchen nach einem molekularen Zusammenhang, der das Schlafbedürfnis hervorruft. Haben wir den gefunden, können wir auch verstehen, was im Schlaf passiert, um die Müdigkeit wieder abzubauen», formuliert die 37-jährige Neurobiologin das Ziel ihres Projekts. Grundlagenforschung sei das, sagt sie und ergänzt: «Wenn wir den Schlaf der Fruchtfliege verstehen, können wir auch Parallelen zum Menschen ziehen.»


Ihr Forschungsprojekt sei in einem sehr frühen Stadium gewesen als sie es beim EU- Forschungs-Programm eingereicht habe. Aber ein Vorteil der Horizon-Förderung sei eben, dass auch riskantere Vorhaben Unterstützung fänden als das vielleicht bei einem Wettbewerb des Schweizerischen Nationalfonds der Fall sei.

Ob es zur schnellen Normalisierung kommt und die Schweiz bald wieder mitspielt in der Europameisterschaft der Forscherinnen und Forscher, wird auf politischer Ebene entschieden. Die Forschungszusammenarbeit ist zweifellos ein Trumpf der EU im Verhandlungspoker mit der Schweiz. Mit dem Rauswurf aus dieser Kooperation hat sie die Schweiz mit ihrem stolzen Forschungsplatz an einer empfindlichen Stelle getroffen.

Die Schweiz ihrerseits, konkret Staatssekretärin Martina Hirayama, gibt sich betont optimistisch und selbstbewusst. Sie wiederholt im Gespräch mehrmals, dass auch die EU viel verliere, wenn sie die Schweizer Forschung nicht mehr fördere. Und hält das Best-Case-Szenario nach wie vor für realistisch: Nach den Sommerferien mit offiziellen Gesprächen über die neuerliche Mitgliedschaft beginnen, damit sich die Schweizer Forschenden schon im Herbst wieder um die begehrten Grants bewerben können.

Einfach Politik, 25.3.22

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