«Das ist schlicht und ergreifend nicht seriös!», stellte SP-Vertreter Cédric Wermuth im Nationalrat zu einem Vorstoss aus der Wirtschaftskommission fest. «Das ist unseriöse Politik!», ärgerte sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi heute bei der Diskussion über einen anderen Vorstoss. «Willkürlich» und «unverantwortlich» sei, was man hier fordere, bemerkte im Ständerat Brigitte Häberli-Koller von der CVP bei einem wieder anderen Geschäft.
Selten hat man in einer Session so vielen Volksvertreterinnen und -vertretern dabei zuhören können, wie sie sich über die eigene Ratsarbeit beklagen.
Widersprüchliche Motionen
Im Rekordtempo haben die Kommissionen beider Räte in den letzten Tagen eine ganze Reihe an Vorstössen fabriziert, um politisch wieder Oberhand zu gewinnen. Dies, nachdem sie die Bewältigung der Coronakrise in den Anfängen allein dem Bundesrat überlassen hatten. Dabei ist einiges herausgekommen, was man getrost als grenzwertig bezeichnen darf.
Er brauche eine Bedienungsanleitung, meinte Gesundheitsminister Alain Berset schnippisch, sollte die grosse Kammer drei Vorstösse gutheissen, die ein rascheres Vorgehen bei der Lockerung der Massnahmen forderten. Die Motionen würden sich nämlich gleich in mehreren Punkten widersprechen. Formuliert hatte die drei Texte pikanterweise ein- und dieselbe Kommission.
Finanzminister wundert sich
«Mir scheint, dass wir etwas arg viel über den Daumen gepeilt machen», nervte sich Finanzminister Ueli Maurer gestern im Ständerat, als dessen Finanzkommission über Nacht einen Zusatzkredit von 50 Millionen Franken für einen Härtefallfonds zugunsten von Mietern aus dem Hut gezaubert hatte. Man bekomme das Gefühl, für das Parlament spiele es keine Rolle mehr, ob man eine Milliarde mehr oder weniger ausgebe, wunderte er sich.
Komme dazu, dass es für einen solchen Kredit schlicht keine gesetzliche Grundlage gebe. In der dritten Beratungsrunde zeigte der Ständerat dann Einsicht und strich den Härtefallfonds wieder.
Dass bei der parlamentarischen Beratung von Sessionsgeschäften in Zeiten einer Coronakrise nicht mit der gleichen Tiefe gearbeitet werden kann wie im Normalzustand, dafür mag man Verständnis aufbringen. Das Parlament stand unter Zeitdruck. Vorlagen und Vorstösse haben innerhalb von wenigen Tagen in einer einzigen Session verabschiedet werden müssen, um Wirkung erzielen zu können.
Keine Zeit für Vorberatungen
Allerdings hat sich das Parlament das hohe Tempo, unter dem offensichtlich die Qualität der politischen Arbeit leidet, zu einem grossen Teil selbst zuzuschreiben. Nach dem Abbruch der Frühjahrssession strichen National- und Ständerat zunächst alle geplanten Kommissionssitzungen. Es war der Bundesrat, der das Parlament aus seiner Schockstarre holen musste, indem er es bat, eine ausserordentliche Session zum Thema Corona anzusetzen.
Die beiden Räte nahmen die Arbeit dermassen spät wieder auf, dass es innerhalb der verbleibenden Zeit kaum mehr möglich war, fundierte Ratsarbeit zu leisten. Mehrere Kommissionen kamen gar erst dazu, die Vorstösse vorzuberaten, als die Session in den Berner Messehallen bereits in vollem Gang war. Von der «Corona-Session» dürften die Räte deshalb vor allem eine Erkenntnis nach Hause nehmen: Sich bei der nächsten Krise nicht mehr tagelang selber zum Zuschauer und zur Zuschauerin zu degradieren.