Ein 26-Jähriger joggt im Wald. Dort begegnet er einem Bären. Dieser greift ihn an und verletzt ihn tödlich. Was nach einem Film klingt, ist letzte Woche so in der Provinzregion Trentino – nur gut 40 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt – passiert. «Der Vorfall in Norditalien macht mich betroffen, aber er erstaunt mich nicht», sagt Christian Stauffer von der Raubtierstiftung Kora. «Die Population in diesem Gebiet ist stark angestiegen und es gab jüngst immer wieder Meldungen von Unfällen.»
40 Kilometer: Für Bären ein Katzensprung. Auch wenn in der Schweiz keine ständige Bärenpopulation ansässig ist, so überqueren immer wieder einzelne Tiere die Grenze. Meistens wandern sie von Norditalien ins Bündnerland ein. Dabei handelt es sich um junge Männchen, die sich paaren möchten. Da sie in der Schweiz aber kein Weibchen für die Paarung finden, kehren sie wieder zurück.
Beim Bären, der letzte Woche den Jogger getötet hat, handelt es sich um ein Weibchen. Laut der Staatsanwaltschaft Trient ist es die Schwester von «Problembär Bruno». Bruno tauchte im Mai 2006 in Bayern auf und wurde schnell gefährlich. Ende Juni 2006 wurde er erlegt.
JJ4 selbst, oder Gaia, wie die Schwester von Bruno heisst, ist kein unbeschriebenes Blatt. Bereits im Juni 2020 hatte sie zwei Menschen angegriffen und verletzt – wohl weil sie ihre Jungen verteidigen wollte. Daraufhin wurde Gaia als «Problembärin» eingestuft und sollte erlegt werden. Das regionale Verwaltungsgericht hob diese Abschussverordnung wieder auf und stattete sie stattdessen mit einem Funkhalsband aus. Dieses übermittelt aber derzeit keine Daten mehr über die Bewegung der Bärin.
Anders als in Italien werden «Problembären» in der Schweiz geschossen. Das sei nötig für ein Zusammenleben von Mensch und wilden Bären, sagt Stauffer: «Es ist wichtig, dass man mit Tieren, die wirklich gefährlich werden können, pragmatisch umgeht und auch bereit ist, sie zu entfernen.»
In der Vergangenheit haben das die Schweizer Behörden bereits getan, etwa mit M13. Gefährlich wird ein Tier dann, wenn es die Scheu vor dem Menschen verliert und in Siedlungen vordringt. Zum Zusammenleben gehöre aber ebenso das Verhalten des Menschen. Man sollte sich dem Tier nicht annähern und sich möglichst langsam zurückziehen.
Die Situation in Norditalien sei allerdings nicht vergleichbar mit jener in der Schweiz, sagt Arno Puorger vom Amt für Jagd und Fischerei Graubünden. Immerhin leben dort schätzungsweise 100 Bären. Mittelfristig dürfte der Bär aber auch in der Schweiz sesshaft werden. Deshalb gebe es schon jetzt Massnahmen für ein Leben nebeneinander: So seien im Bärengebiet etwa bärensichere Abfalleimer installiert worden.
Ausserdem gelte ein Fütterungsverbot, man habe SMS-Alarmsysteme eingeführt und sammle auf einer Website Nachweise der Tiere. «Zentral sind auch eine professionelle Wildhut und gesetzliche Grundlagen, um Risikobären zu erlegen, bevor sie Schaden anrichten», so Puorger. Und Stauffer ergänzt: «Jene Bären, die in den letzten Jahren in der Schweiz herumgestreift sind, sind unauffällig.»