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BAG-Direktor im Interview «Die meisten Ansteckungen passieren bei den Jugendlichen»

Das Coronavirus hat die Schweiz immer noch im Griff. Mit den neu gemeldeten Fällen ist am Donnerstag erstmals seit Ende April wieder die 200er-Marke überschritten worden. BAG-Direktor Pascal Strupler sieht die Kantone in der Pflicht und fordert von ihnen mehr Abstimmung und Zusammenarbeit. Eine generelle Maskenpflicht in Läden und Geschäften sieht er als Möglichkeit.

Pascal Strupler

BAG-Direktor

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Pascal Strupler ist seit dem 1. Januar 2010 Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Seine berufliche Laufbahn führte ihn seit 1986 durch vier eidgenössische Departemente (Finanzen, Wirtschaft, Auswärtige Angelegenheiten und Inneres). Strupler verlässt das BAG Ende September 2020, wie er bereits im Oktober 2019 angekündigt hat.

SRF News: Ist das, was wir jetzt sehen, die Quittung für die schnellen und weitgehenden Lockerungen?

Pascal Strupler: Es ist sicher das Resultat einer Lockerung im Alltag. Die Leute haben wieder Lust auszugehen und zu feiern. Vor allem die Jugendlichen wollen jetzt profitieren und deshalb sehen wir auch, dass die meisten Ansteckungen bei den Jugendlichen stattfinden. In gewisser Weise ist dies eine Folge der Lockerungen.

Die Bevölkerung ist sensibilisierter, aber vielleicht nicht ganz so diszipliniert.

So viele Neuansteckungen hatten wir eine Woche vor dem Fast-Lockdown. Jetzt appellieren Sie nur an die Kantone. Hat die erste Welle nicht gezeigt, dass das Tempo ein entscheidender Faktor ist?

Tempo ist sicher ein entscheidender Faktor. Das haben mehrere Studien gezeigt. Aber wir haben es jetzt mit einer anderen Bevölkerung zu tun. Mit einer Bevölkerung, die sensibilisierter ist, die vielleicht nicht ganz so diszipliniert ist. Aber gerade die älteren Bevölkerungsschichten halten sich an die Massnahmen und Regeln.

Die Kantone betonen, die Unterschiede seien sinnvoll. Die Gesundheitsdirektoren sagen, es laufe gut. Sie fordern aber, dass man mehr zusammenarbeiten solle.

Ja, es läuft unterschiedlich gut. Nicht alle Kantone sind gleich stark betroffen. Es gibt Kantone wie zum Beispiel Genf, die eine sehr hohe Anzahl an Infizierten haben. Diese Kantone haben aber auch sehr schnell Massnahmen ergriffen. Das ist auch die Botschaft des Bundes. Die Kantone sollen überprüfen und überlegen, ob sie nicht gemeinsame und einheitliche Massnahmen treffen sollen.

Bei unseren Nachbarn herrscht eine Masken-Tragpflicht in Geschäften oder öffentlichen Gebäuden. Wie lange will der Bund oder der Bundesrat noch zuschauen, bis er selbst wieder eingreift?

Seit dem 19. Juni sind die Kantone in der Pflicht. Der Bundesrat hat das klar kommuniziert. Seit dem Übergang der ausserordentlichen Lage zur besonderen Lage sind die Kantone in der Pflicht, Massnahmen zu ergreifen.

Die Kantone sollen dafür sorgen, dass es eine gewisse einheitliche Umsetzung gibt.

Aber der Bund hätte immer noch die Befugnis, in Absprache mit den Kantonen, selbst Regeln durchzusetzen.

Der Bund könnte dies tun. Aber wir halten daran fest, dass die Kantone dafür sorgen sollten, dass es eine gewisse einheitliche Umsetzung geben soll.

Und wie lange wird der Bund zuschauen bis er eingreifen wird?

Das hängt von der Geschwindigkeit des Virus und der Geschwindigkeit der Kantone ab.

Diese Krankheit ist sehr tödlich.

Es gibt Epidemiologen, die sagen, die Krankheit sei doch nicht so gefährlich, weil es eine enorme Dunkelziffer gibt.

Diese Krankheit ist sehr tödlich. Wir haben die schlimmen Krankheitsverläufe gesehen. Wieso es weniger Tote gegeben hat, lässt sich wahrscheinlich auf unser schnelles Handeln zurückführen. Und weil wir ein so gutes Gesundheitssystem besitzen, welches die Leute gut pflegen konnte.

Die These geht in die Richtung, dass wenn man die Dunkelziffer betrachtet und mit den Todeszahlen vergleicht, man feststellen muss, dass nicht allzu viele an dem Virus sterben.

Das mag sein. Aber erinnern wir uns doch an die Bilder, die wir in Italien gesehen haben. Da sind Hunderte von Menschen pro Tag gestorben. Also ist es sicherlich eine ernstzunehmende Geschichte. Ich glaube, wir haben sehr schnell gehandelt und konnten so eine Situation wie in Italien abwenden.

Vergessen wir nicht, dass das Virus immer noch unter uns ist und nehmen etwas Abstand voneinander.

Bald ist 1. August. Werden sie in einer Gruppe feiern?

Ach nein! Ich bin nicht der grosse 1.-August-Feier-Mensch. Und dieses Jahr ist es ja auch eine Frage der Solidarität. Sicher werden sich die Leute treffen. Aber der Aufruf bleibt: Bleiben Sie solidarisch. Vergessen wir nicht, dass das Virus immer noch unter uns ist und nehmen doch etwas Abstand voneinander. Das wird uns ja nicht daran hindern, einen schönen 1. August zu feiern.

Das heisst nicht in zu grossen Gruppen?

Genau. Nicht in allzu grossen Gruppen feiern und wenn Sie in Gruppen sind, halten Sie Abstand.

Das Gespräch führte Nathalie Christen.

Tagesschau, 30.07.2020, 19:30 Uhr ; 

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