Der «Uferweg» in Burgdorf ist weitherum bekannt: für seine tiefen Mieten und den hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Für manche sind die braunen Blöcke am Flussufer der grünen Emme ein Paradies, andere sehen in der Siedlung ein «Ghetto».
Grösstes Schweizer «Ukraine-Dorf» muss weichen
Seit einem Jahr sind 75 Wohnungen das erste Zuhause in der Schweiz für rund 300 geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Der Kanton Bern brachte sie hier kurz nach Kriegsausbruch günstig unter. Am Uferweg entstand das grösste «Ukraine-Dorf» der Schweiz.
Kanton will ukranische Geflüchtete separieren
Manche der insgesamt 133 Wohnungen standen damals schon leer, manche wurden von Menschen bewohnt, die Sozialhilfe beziehen, der Rest von Asylsuchenden aus anderen Herkunftsländern. Die meisten von ihnen stammen aus Afghanistan oder Syrien. Sie mussten kurzfristig ausziehen, zurück in eine Kollektivunterkunft, oder sich eine andere Wohnung suchen.
Dahinter steckt die Strategie des Kantons Bern, Geflüchtete mit Schutzstatus S – und Privilegien wie der Arbeitserlaubnis – von Menschen zu trennen, die sich im regulären Asylprozess befinden und unter Umständen lange auf einen Entscheid warten müssen.
Eine Wohnung am «Uferweg» bedeutet: 3.5 Zimmer, 50 Quadratmeter, die letzte Sanierung fand vor der Jahrtausendwende statt. Und dennoch ein lebenswerter Ort, sagt Olena Mossewitsch, die mit ihrer 13-jährigen Tochter und ihrem 82-jährigen Vater in die Schweiz geflüchtet ist. «In der Ukraine sind Wohnungen wie diese der normale Standard. Ich verstehe nicht ganz, warum sie abgerissen werden sollen», sagt die gelernte Kosmetikerin aus Kiew.
Geflüchtete müssen selber nach Wohnungen suchen
Die Siedlung gehört der Previs Vorsorge, einem Pensionskassenanbieter. Diese will die Wohnungen aus den 1950er-Jahren seit 16 Jahren durch einen Neubau ersetzen. Nach langem Hin und Her sollen nun die Bagger auffahren. Die ersten Blöcke sollen in wenigen Wochen abgerissen und durch zeitgemässe Wohnungen ersetzt werden. In drei Häusern sollen 176 Wohnungen entstehen.
In der Ukraine sind Wohnungen wie diese der normale Standard. Ich verstehe nicht ganz, warum sie abgerissen werden sollen.
Für Olena Mossewitsch und viele weitere Bewohnerinnen und Bewohner des Uferwegs ist die Wohnungssuche schwierig. «In der Ukraine läuft es ganz anders, man braucht zum Beispiel weder Mietzinskaution noch eine Hausratversicherung.» Zudem fühle sie sich aus dem neuen Alltag herausgerissen, sie habe viele Freundinnen und ein Umfeld im Gyrischachenquartier gefunden.
Die Firma ORS betreut die geflüchteten Menschen im Auftrag des Kantons Bern und hat eine Taskforce gegründet, um die Menschen bei der Wohnungssuche zu unterstützen. «Wir gehen davon aus, dass fast alle Personen bis Ende April etwas gefunden haben», sagt Bereichsleiter Nils Bernhard. Grundsätzlich seien die Geflüchteten selber für die Suche verantwortlich. Wer trotz Unterstützung bis zum Abbruchtag nichts findet, wird in einer Kollektivunterkunft untergebracht.
Die Nutzungsdauer der Siedlung war von Anfang an begrenzt, dennoch kommt der Zeitpunkt für den Kanton Bern ungelegen. Aktuell steigen die Flüchtlingszahlen. «Die Betten in den Unterkünften reichen nur noch bis Ende Mai», sagt Gundekar Giebel von der Sozialdirektion.
Olena Mossewitsch hat eine Wohnung ganz in der Nähe gefunden. Ihre Tochter kann dieselbe Schule besuchen und sie ist auch für ihren gehbehinderten Vater zugänglich. «Wir sitzen den Krieg in der Schweiz aus, dann wollen wir zurück nach Hause», sagt sie. Zurück in ihr Leben.