Es ist ein kühler Januarmorgen. Eine Zugbegleiterin kontrolliert die Billette, als sie feststellt, dass ein Mann kein gültiges Ticket hat. Der Mann widerspricht. Der Streit geht eine Weile hin und her, bis der Fahrgast ausrastet.
Er steigt bei der nächsten Haltestelle aus, die Zugbegleiterin hinterher. Plötzlich reisst er ihr das Billett aus der Hand, beschimpft sie als «blöde Kuh». Die Kontrolleurin hat Angst und steigt zurück in den Zug. Doch der Mann packt sie und zerrt sie zurück aufs Perron. Erst, als zwei Arbeitskollegen eingreifen, endet der Angriff.
So steht es in einem Strafbefehl der Bundesanwaltschaft, der soeben rechtskräftig wurde und worüber die «Sonntagszeitung» berichtete. Der Mann sei wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Hinderung einer Amtshandlung verurteilt worden: 240 Franken Busse plus eine bedingte Geldstrafe von 1200 Franken.
Der Vorfall ist bei weitem kein Einzellfall: Laut dem Bericht veurteilte die Bundesanwaltschaft zwischen dem 10. Juni und dem 10. Juli 20 Fahrgäste – wegen Drohungen, Exhibitionismus, Gewalt und Beschimpfungen.
Bei täglich rund 1.39 Millionen Reisenden gibt es durchschnittlich zehn solcher Fälle pro Tag.
Von Beschimpfungen bis Gewalt gegen das Zugpersonal gebe es alles, sagt Sarah Schmidlin, Mediensprecherin bei der SBB. «Bei täglich rund 1.39 Millionen Reisenden gibt es durchschnittlich zehn solcher Fälle pro Tag.» Das heisst: Es gibt rund 3600 Vorfälle pro Jahr.
Solche gesellschaftlichen Entwicklungen machten der SBB Sorge. Denn jede Aggression sei eine zu viel, ergänzt Sprecherin Sarah Schmidlin. Die Anzahl bleibe zwar stabil, aber die Vorfälle seien gravierender geworden, so die SBB.
Steigende Tendenz seit Corona
Dass der Ton rauer und das Miteinander brutaler geworden sei, beobachtet auch die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. René Zürcher, der bei der Gewerkschaft für den Personenverkehr zuständig ist, sieht eine steigende Tendenz seit der Coronakrise.
Seither hätten Kundinnen und Kunden weniger Hemmungen, auch gegenüber dem Personal, fügt René Zürcher an. Daher müsse die SBB das Personal gut schützen – mit mehr Personal vor allem Abends, wenn es betrunkene Gäste habe.
Bodycams und Kampagne
Beim Personal habe die SBB bereits reagiert, sagt Mediensprecherin Sarah Schmidlin. «Nach 22 Uhr werden Fernverkehrszüge in der Regel von zwei Kundenbegleiterinnen oder -begleiter [statt einer Person, Anm. d. Red.] begleitet, die in kritischen Situationen vom Sicherheitspersonal unterstützt werden.»
Zudem seien seit letztem Herbst die Bahnpolizistinnen und -polizisten mit Bodycams ausgestattet. Diese Massnahme soll in kritischen Situationen deeskalierend wirken.
Zudem läuft seit letztem Herbst eine Kampagne der SBB und ihren Sozialpartnern: Mit Plakaten und auf Bildschirmen in Bahnhöfen und Zügen wird ein respektvolles Miteinander verlangt.