Zuerst den Puls nehmen: Der Bundesrat bleibt bei seinem Entscheid, mit einer weiteren Kohäsionsmilliarde die EU-Staaten im Osten zu unterstützen und Gelder einsetzen für EU-Staaten, die stark von der Migration betroffen sind. Dazu hat der Bundesrat die Vernehmlassung zu den Rahmenkrediten von 1,3 Milliarden Franken eröffnet. Das weitere Vorgehen wird dann davon abhängen, wie sich die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU präsentiert.
Kritische CVP: In der derzeitigen Lage zeigt sich die CVP gegenüber der Kohäsionsmilliarde «sehr kritisch». Sie erwartet substanzielle Fortschritte im EU-Dossier. Mit der Befristung der Schweizer Börsenäquivalenz habe die EU die Beziehungen unnötig belastet, teilt die Partei mit. Ein Entgegenkommen der EU sei Voraussetzung für einen weiteren Beitrag. Auch Filippo Lombardi (CVP/TI) äussert sich «konstruktiv kritisch, denn eigentlich haben wir eine freundschaftliche Beziehung mit der EU. Diese ist derzeit aber mit der fehlenden Börsenanerkennung gestört.»
FDP will Fortschritte: Als Teil der Beziehungen der Schweiz mit der EU sieht die FDP diese Kohäsionszahlungen und will sie auch in diesem Rahmen beurteilen, wie FDP-Sprecher Martin Stucki sagte. Philipp Müller (FDP/AG) äussert sich erstaunt, weil sich auf Seiten der EU bei der Börsenäquivalenz nichts geändert hat. Das Umfeld sei nach wie vor nicht so, wie sich das der Bundesrat und auch das Parlament gewünscht habe. «Sollte nach der Vernehmlassung die Vorlage ins Parlament kommen und es hat sich nichts geändert, wird es einen Scherbenhaufen geben.»
SVP will Volksabstimmung: Vor einer Zahlung der Kohäsionsmilliarde will die SVP, dass sich das Volk zu den 1,3 Milliarden Franken äussern kann und fordert darum eine referendumsfähige Gesetzesvorlage. Für Parteipräsident Albert Rösti (SVP/BE) ist darum dieser Entscheid unverständlich und falsch: «Unverständlich, weil der Bundesrat ein Verhandlungspfand gegenüber der EU aus der Hand gibt. Und falsch, weil die EU-Oststaaten ein deutlich höheres Wachstum haben als die Schweiz.» Überhaupt seien solche Marktzugangsprämien ein Unding, schreibt die SVP weiter. Bei keinen Handelsabkommen sei es üblich, dass der kleinere dem grösseren Marktteilnehmer Ausgleichszahlungen entrichte.
SP sieht einen Beitrag zur Entwicklung armer EU-Staaten: Zufrieden äusserte sich SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Er nannte die Kohäsionsmilliarde «einen bescheidenen Beitrag für einen grossen Gewinn an Wohlstand». Die Forderung der SVP nach einer Abstimmung wies Nordmann zurück. Auch Nationalrat Eric Nussbaumer (SP/BL) will nicht mit einem Faustpfand und mit Drohungen arbeiten. «Wir wollen ein institutionelles Rahmenabkommen, wir wollen Fortschritte, denn die Börsenäquivalent ist wichtig für unser Land und wir sollten bis zum Sommer auf diesem Pfad bleiben.»
Marktzugang im Vordergrund: Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse verlangt Fortschritte in den Verhandlungen über ein Marktzugangsabkommen, bei der Äquivalenzanerkennung im Finanzmarktbereich sowie in den Bereichen Strom und Forschung. Die Kohäsionsmilliarde schaffe eine gute Voraussetzung für solche Fortschritte, sagte Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaftspolitik bei economiesuisse: «Wir sollten nicht schon jetzt Ja oder Nein sagen, sondern diese Fortschritte abwarten und entsprechend würdigen.»
Hat die Kohäsionsmilliarde eine Chance? Im Parlament habe die Vorlage nur dann eine Chance, erklärt SRF-Bundeshausredaktor Christoph Nufer, wenn der Bundesrat in den Verhandlungen mit Brüssel bis im Sommer Konkretes erreichen kann: Etwa beim Rahmenabkommen, Stichwort Schiedsgericht, oder bei einer unbefristeten Schweizer Börsenanerkennung. «Nur wenn das Gesamtbild stimmt, kann die Kohäsionsmilliarde durchkommen. Ob es je zu einer Volkabstimmung kommen wird, ist unklar, denn eigentlich ist keine referendumsfähige Vorlage vorgesehen, nur die SVP möchte das nun erwirken. Bei einer Abstimmung dürfte es aber knapp werden.»
Den ersten Kohäsionsbeitrag hiess das Volk im November 2006 mit dem Osthilfegesetz an der Urne gut. Damals hatten die SVP und die Schweizer Demokraten das Referendum ergriffen.