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Bilanz der Herbstsession Schnell und produktiv: Parlament im Speed-Modus

Mit der Energiekrise im Nacken fällte das Parlament wegweisende Entscheide für erneuerbare Energien. Selten schmiedeten Schweizer Politiker so schnell Kompromisse. Eine Übersicht.

Und plötzlich funktioniert Schweizer Politik im Schnellzugstempo: Nach teils jahrelanger Blockade kommen in der Herbstsession Projekte zur Förderung erneuerbaren Energien im Dutzend durch.

Das Ping Pong zwischen den Räten bringt für einmal derart rasch Kompromisse hervor, dass selbst Energie- und Umweltministerin Simonetta Sommaruga Bauklötze staunt: «Man hat die Balance gefunden zwischen dem Zubau von Erneuerbaren und dem Umweltschutz.»

Grosse Stromprojekte aufgegleist

So blies das Parlament etwa zur Solaroffensive für mehr inländischen Winterstrom. Beide Kammern geben grünes Licht für grosse Photovoltaik-Anlagen in den Bergen und führen eine Solardach-Pflicht für Neubauten mit über 300 Quadratmetern Grundfläche ein.

Ausserdem darf nun die Grimsel-Staumauer um 23 Meter erhöht werden. Das Projekt war drei Jahrzehnte blockiert, zwei kleinere Naturschutzgruppen bekämpfen es bei jeder Gelegenheit mit Rekursen. Nun soll das Bauprojekt von der sogenannten Planungspflicht befreit werden, was es deutlich beschleunigt.

Zwar meldete das Bundesamt für Justiz Bedenken an: Faktisch erteile das Parlament hier direkt eine Baubewilligung und verletze die Gewaltenteilung. Doch mit der Energiekrise im Nacken liessen sich die Parlamentarier davon nicht beirren. So machte sich der Ständerat am vorletzten Sessionstag auch noch daran, 15 grosse Staudamm-Projekte in den Bergen ins Gesetz zu schreiben.

Die Staumauer im Valle de Lei.
Legende: Die Staudamm-Projekte sollen insgesamt zwei Terawattstunden zusätzlichen Strom produzieren – die Zustimmung des Nationalrates in der nächsten Session hat gute Chancen. Keystone/Gian Ehrenzeller

Lösung für Gletscherinitiative in Sicht

In seinem energiepolitischen Eifer einigte sich das Parlament auch auf einen Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative: Er gibt einen verbindlichen Pfad vor, wie die Schweiz bis 2050 auf Netto-Null kommen soll beim CO₂. Das Parlament bewilligte über drei Milliarden Franken an Finanzhilfen für den Ersatz fossiler Heizungen und Sanierungen sowie für die Förderung von neuen Technologien in der Wirtschaft.

Die Initianten der Gletscherinitiative sind von diesem Gegenvorschlag derart angetan, dass sie ankündigten, ihre Initiative zurückzuziehen. Allerdings muss der Gegenvorschlag wohl erst eine Volksabstimmung überstehen: Die SVP-Bundeshausfraktion kündigte ihr Referendum an und will die nötigen 50’000 Unterschriften sammeln.

Erfolgreiche Kompromisse

Doch auch die SVP half mit, in der Energiepolitik Pflöcke einzuschlagen: So beschloss das Parlament, einen Rettungsschirm für Stromunternehmen aufzuspannen, sollten diese in Schieflage geraten. Die Axpo etwa kann im äussersten finanziellen Notfall ab sofort auf bis zu vier Milliarden Franken des Bundes zurückgreifen.

Die sonst so träge mahlenden Mühlen der eidgenössischen Räte gerieten in der Herbstsession geradezu in einen parlamentarischen Temporausch – ohne dass die so wichtigen Kompromisse auf der Strecke blieben. Alle Seiten mussten auf Maximalforderungen verzichten.

So wurde etwa die von den Grünen geforderte Solarpflicht für sämtliche neu gebauten Hausdächer wieder gestrichen. Auf der anderen Seite musste die bürgerliche Seite vom Wunsch ablassen, dass grosse Solaranlagen auch in Naturschutzgebieten gebaut werden können.

Pragmatische Kompromisse in fast schon parlamentarischer Lichtgeschwindigkeit: An diese Arbeitsweise der Politiker könnte man sich gerne gewöhnen.

Tagesschau, 29.09.2022, 19:30 Uhr

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