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Dringliches Energiegesetz Wie Politiker den möglichen Verfassungsbruch rechtfertigen

Ein Rechtsexperte kritisierte jüngst, das Energiegesetz sei nicht verfassungskonform. Im Bundeshaus wird das gar nicht abgestritten. Die Dringlichkeit bei der Versorgungssicherheit sorge für einen Handlungszwang, wird jedoch argumentiert.

Das Parlament sei «ausser Rand und Band», kritisierte der Umweltrechtler Alain Griffel am Donnerstag auf Radio SRF. Griffel sagt, dass das dringliche Gesetz für zwei neue grosse Photovoltaik-Anlagen in den Alpen und für die Aufstockung der Grimsel-Staumauer gleich mehrfach die Verfassung verletze. Heute Freitag müssen beide Räte das Gesetz in der Schlussabstimmung nochmals final bestätigen.

Krise bedinge rasches Handeln

Mit der Kritik sind nicht alle einverstanden. So auch Philipp Bregy, Fraktionschef der Mitte. «Ich mag diesen Terminus ausser Rand und Band gar nicht, weil er disqualifiziert das Parlament.» Er lese die Dinge anders und habe überhaupt keine Bedenken wegen der Verfassungsmässigkeit. «Ich erachte es als meine Pflicht als Parlamentarier, in einer solchen Krise die nötigen Entscheide zu treffen, um möglichst schnell aus dieser Krise herauszukommen», so Bregy.

Praktisch gleich argumentiert auch der Fraktionschef der SP, Roger Nordmann. «Wir sehen jetzt, dass die internationale Lage ganz schwierig ist.» Die Sprengung von beiden Nordstream-Pipelines zeige laut Nordmann, «dass wir auf längere Zeit ein Problem bei der Gasversorgung haben werden, das sich auf dem Strom widerspiegelt». Wir müssten daher rasch und massiv die Menge Winterstrom erhöhen, sagt der SP-Politiker.

Selbstverständlich finden Sie einige Artikel in der Verfassung, wo man von einem Ritzen der Verfassung sprechen kann.
Autor: Albert Rösti Nationalrat SVP

Der Energie-Spezialist der SVP, Albert Rösti, gibt indes zu, dass das Gesetz möglicherweise nicht im Einklang mit der Verfassung sein könnte.«Selbstverständlich finden Sie einige Artikel in der Verfassung, wo man von einem Ritzen der Verfassung sprechen kann. Aber letztlich fühle ich mich hier als Parlamentarier, als Volksvertreter verantwortlich, dass es dereinst genügend Strom gibt. Und da mache ich, gestützt auf die Verfassung, eine Güterabwägung, die dieses Ziel erfüllen wird.»

Matthias Jauslin von der FDP sieht dies deutlich kritischer. Er teile die Kritik am Parlament und könne sie hundertprozentig nachvollziehen. «Ich habe schon immer gesagt: Das Parlament ist im Modus Hyperaktivismus, und das kommt nicht gut.»

Zustimmung wegen des Sachzwangs

Dem Prozess ebenfalls kritisch gegenüber eingestellt ist die Grüne Fraktionschefin Aline Trede. Auch ihrer Meinung nach verletzt das Gesetz die Verfassung. «Wir haben hier Dringlichkeiten angesprochen, die eigentlich gar keine Dringlichkeit verlangen. Wir haben Projekte in Bundesgesetze geschrieben, konkrete Projekte, die dort nichts zu suchen haben.» Dies sei nicht zielführend, so Trede. «Wir haben so viel erreicht in der Solar-Offensive. Dinge, die wir vor einem Jahr undenkbar hätten durchbringen können. Und ich glaube, es würde niemand verstehen, wenn wir jetzt da dagegen wären.»

Wir befinden uns in einer Sachzwangslage und werden diesem Gesetz so zustimmen im Wissen, dass wir nicht ganz auf Verfassungslinie sind.
Autor: Matthias Jauslin FDP-Nationalrat

Dem schliesst sich auch FDP-Mann Matthias Jauslin an. Niemand würde ein Nein verstehen. «Wir befinden uns jetzt in einer Sachzwangslage und werden nach der Schlussabstimmung diesem Gesetz so zustimmen im Wissen, dass wir nicht ganz auf Verfassungslinie sind.»

HeuteMorgen, 30.09.2022, 06:00 Uhr

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