Das Bild ist bezeichnend: Wer in diesen Tagen durch das Dorf Brienz im Berner Oberland geht, sieht auf den ersten Blick nicht, dass vor genau einem Jahr ein Unwetter grosse Verwüstung anrichtete. Das zeigt auch der Besuch auf dem Friedhof. Die Grabsteine stehen schön sauber aufgereiht, mit liebevoll geschmückten Grabfeldern, farbigen Blumen und lächelnden Engeln.
Doch wer genauer hinsieht, bemerkt die immer noch zerstörte Mauer, die den Friedhof nicht ausreichend vor den Schuttmassen schützen konnte. Oder das Gemeinschaftsgrab, das neu angeordnet werden musste. «Dieses Bild beschreibt auch genau das Leben der Bevölkerung», erklärt Pfarrer Martin Gauch. Man sei zurück im Alltag, Gras ist darüber gewachsen, «aber für die Leute hier ist es immer noch eine Katastrophe».
So etwas habe ich noch nie gesehen.
Noch immer können nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner zurück in ihre Häuser. Erst muss geklärt werden, was mit dem Milibach geschieht, der vor einem Jahr über die Ufer getreten und 50'000 Kubikmeter Steine, Bäume und Schlamm heruntergespült hat.
«Der Weg ist noch weit, aber die Leute wollen vorwärtsgehen», sagt Gemeinderatspräsident Bernhard Fuchs. Immerhin: Es gibt Hoffnung. Einige Bewohnende konnten in ihr Zuhause zurück, andere mit der Renovation beginnen, wieder andere einen Neubau planen. Und der Friedhof wurde sogar komplett wieder aufgebaut – jeder Grabstein konnte gefunden, gereinigt und wieder aufgestellt werden.
So gross war die Zerstörung beim Unwetter in Brienz BE
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Bild 1 von 6. Der Milibach fliesst normalerweise zwischen Friedhof und Kirche in Richtung See. Am 12. August 2024 trat er über die Ufer und verwüstete Teile des Dorfes. Bildquelle: KEYSTONE/Adrian Reusser.
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Bild 2 von 6. So auch den Friedhof. Geröll und Sand lagen auf der 900-jährigen Gedenkstätte. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 6. Auch der Bahnhof und Gleise wurde überschwemmt. Die Strecke blieb länger unterbrochen. Bildquelle: KEYSTONE/Alessandro della Valle.
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Bild 4 von 6. Der Ursprung war ein heftiges Gewitter, das sich über dem Dorf Brienz entlud und eine Gerölllawine auslöste. Bildquelle: KEYSTONE/Alessandro della Valle.
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Bild 5 von 6. 50'000 Kubikmeter Steine, Bäume und Schlamm zerstörten Häuser und Strassen. Bildquelle: KEYSTONE/Alessandro della Valle.
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Bild 6 von 6. Nach Aufräumarbeiten konnten einige Bewohnerinnen und Bewohner zurück in ihre Häuser. Bildquelle: KEYSTONE/Peter Klaunzer.
Das ist nicht selbstverständlich, denn die Verwüstung war massiv. «Der Himmel war fast apokalyptisch, so etwas habe ich noch nie gesehen», beschreibt Pfarrer Martin Gauch den Moment vor einem Jahr. Trümmer vergruben nicht nur Teile von Häusern und Autos unter sich, sondern auch einen grossen Teil des Friedhofs. Grabsteine wurden weggerissen, Grabreihen mit Geröll zugeschüttet. Es wurde befürchtet, dass Leichen mitgerissen wurden.
Eine heikle Situation für die Gemeinde. «Ein Friedhof ist mit Trauer verbunden und wenn der Ort weg ist, fällt auch ein Teil der Geschichte oder der Identität des Dorfes weg», so Martin Gauch. Individuell habe dies Wunden aufgerissen: «Es hat die Trauer von einigen Leuten wieder aufgewühlt.»
Keine Leichen weggespült
Der Pfarrer kann jedoch auch Entwarnung geben: Es wurden keine Leichname weggespült. «Beim Aufräumen hat man zwar Knochen gefunden, das sind aber Überreste von viel früher.» Dieser Prozess sei ganz normal. «Wir sind froh, dass die Totenruhe nicht massiv gestört wurde.»
Damit die Gräber bereits nach wenigen Monaten wieder alle an ihrem Platz sind, ist der intensiven Arbeit der Friedhofsgärtner zu verdanken. Gemeinsam mit dem kantonalen Sigristverband haben sie nicht nur die Grabsteine, sondern auch alle Erinnerungsstücke aus den Trümmern geborgen und fein säuberlich wieder hergerichtet.
Wenn man nicht wüsste, dass vor einem Jahr ein grosser Teil des Friedhofs unter Geröll lag, würde man dies heute auf den ersten Blick nicht erahnen. Beim genauen Hinsehen merkt man jedoch, dass die Normalität noch nicht zurück ist. Denn unklar ist auch, wie der Friedhof künftig gebraucht werden kann: «Solange wir nicht wissen, wie es mit dem Bach weitergeht, wissen wir nicht, wie wir beerdigen können.»
Wer jetzt eine Beerdigung habe, müsse unterschreiben, dass die Möglichkeit bestehe, dass das Grab wieder wegkomme. «Das ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber wir wissen es noch nicht», so Pfarrer Gauch.
Brienz Rothorn Bahn: So gross sind die Schäden
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Bild 1 von 6. Das Gewitter ob Brienz hinterlässt Spuren der Zerstörung: Schienen der BRB versinken im weggespülten Schotter. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.
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Bild 2 von 6. Ein Drittel der 7.6 Kilometer langen Strecke der Brienz Rothorn Bahn ist beschädigt. Die Aufräumarbeiten laufen. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.
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Bild 3 von 6. Die Bahnstrecke wurde vielerorts unterspült. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.
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Bild 4 von 6. In diesem Zwischenteil wurden die Schienen bereits entfernt. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.
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Bild 5 von 6. Arbeiter kontrollieren Tunnels der BRB auf Schäden. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.
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Bild 6 von 6. Der Milibach spülte sogar Autos mit. Bildquelle: SRF/Katharina Locher.