Vor 30 Jahren erlebte die Schweiz die grösste aussenpolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ging um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern, der Druck aus den USA war immens. Thomas Borer leitete damals die Taskforce des Bundes und liefert nun in einem Buch Blicke hinter die Kulissen.
SRF News: Ihr Werk umfasst fünf Bände auf 2800 Seiten, acht Jahre haben Sie daran gearbeitet. Warum war es Ihnen so wichtig, diese Geschichte aus Ihrer Perspektive zu erzählen?
Thomas Borer: Weil man anhand dieser Krise aufzeigen kann, wie die Schweizer Regierung und die Schweizer Wirtschaft in Krisen handeln, wo sie Fehler machen. Man kann Lehren daraus ziehen, schliesslich muss die Schweiz oft mit Machtpolitik und Druck von anderen Staaten umgehen.
Geht es Ihnen auch um Ihr persönliches Vermächtnis? Man spürt beim Lesen, wie stolz Sie auf sich und Ihre Arbeit sind.
Ich bin Patriot und stolz darauf, was wir als Team mit der Taskforce damals erreicht haben. Ich habe einmal Spuren hinterlassen in der grossen Weltgeschichte; es war sicher auch eine Motivation, dies aufzuzeigen.
Die Schweiz geriet in einen echten Sturm.
Die Kläger verlangten in den 90ern Zugriff auf die Gelder von Holocaust-Opfern auf Schweizer Banken, es ging um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und um Wiedergutmachung. Wie ging die Schweiz damals mit dem Druck um?
Am Anfang waren alle verdutzt. Die Banken gingen davon aus, dass die Geschichte aufgearbeitet war, der CEO der UBS sagte, es handle sich bloss um «Peanuts». Der Bundesrat dachte, dass man diese Angelegenheit den Banken überlassen könne. Niemand wusste, wie mit dem Druck umzugehen war. Die Regierung hat viele Fehler gemacht.
Welche Fehler?
Die Schweiz hat auf die Anschuldigungen nicht sofort reagiert. Da man die eigene Geschichte nicht kannte, sagte man, man gehe dem nach und werde in ein paar Monaten antworten. Die USA tickten ganz anders, man sprach vom «CNN-Effekt»: Sie wollten eine Antwort «until the six o'clock news», bis zu den Nachrichten um 18 Uhr.
Die Bankiervereinigung hatte nicht einmal eine E-Mail-Adresse, die Schweizer Regierung kannte die eigenen Staatsverträge nicht, die in diesem Teilbereich abgeschlossen worden waren. Die ausländischen jüdischen Organisationen nutzen die Medien, um Druck auszuüben und die Schweiz geriet in einen echten Sturm. Im Oktober 1996 wurde dann ein Krisenstab eingerichtet, den ich geführt habe.
Auch heute steht die Schweiz wieder unter Druck der USA, wegen der Zölle. Wie beurteilen Sie das aktuelle Krisenmanagement?
Ich glaube, wir gehen richtig um mit den USA. Staatssekretärin Budliger und Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter haben konstruktive Gegenvorschläge gemacht, das funktioniert. Das hängt sicherlich auch mit den Persönlichkeiten zusammen. Keller-Sutter kann gut Englisch und versteht die USA. Heute wissen die Verantwortlichen, wie die modernen Medien funktionieren, wie Präsident Trump funktioniert.
Wenn es brennt, rennen alle gleichzeitig zum Feuer.
Also kann man sagen: Die Schweiz kann heute Krise?
Da bin ich noch nicht so sicher. Wir haben das Problem, dass wir sieben gleichberechtigte Bundesräte haben. Wenn es brennt, rennen alle gleichzeitig zum Feuer, diskutieren, wie man es löschen könnte, und wenn sie zu einer Entscheidung kommen, ist das Haus bereits abgebrannt. Ich fände es sinnvoll, wenn der Bundespräsident vier Jahre im Amt bliebe. Er wäre zuständig für Krisen und Aussenpolitik. So wären wir besser aufgestellt als heute.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.