Der Bundesrat verordnet der Schweiz einen zweiten Shutdown. Er schliesst Restaurants und viele Läden, und privat dürfen sich noch maximal fünf Personen treffen. Zudem baut der Bundesrat die Hilfe für notleidende Firmen aus. Endlich, sagen die einen. Er habe den Bezug zur Realität verloren, kritisieren andere. Bundespräsident Guy Parmelin nimmt Stellung.
SRF News: Als Bundespräsident haben Sie erstmals die Entscheide des Bundesrates präsentiert. Die lauteste Kritik kam von der SVP. Sie wirft Ihnen vor, den Realitätsbezug verloren zu haben. Was sagen Sie dazu?
Guy Parmelin: Die Parteien spielen ihre Rolle. Der Bundesrat ist die Exekutive. Er muss entscheiden. Er muss führen. Und das machen wir. Das ist normal.
Sie haben am Mittwoch vor den Medien betont, wie wichtig Einigkeit sei. Doch ausgerechnet Ihre eigene Partei, die SVP, schert nun aus...
Das sind normale Diskussionen. Die Parteien kritisieren unsere Entscheidungen, sagen, wir gingen nicht so weit, wie wir gehen müssten. Doch der Bundesrat ist ein Team. Er macht seine Analysen seriös.
Die politische Partei und die Regierung sind zwei verschiedene Dinge.
Wenn wir über Massnahmen entscheiden, versuchen wir, die Konsequenzen zu sehen. Wir wollen sicher sein, dass es die besten Massnahmen sind, die wir im Moment treffen können. Das bereitet uns kein Vergnügen, muss ich sagen. Aber die politische Partei und die Regierung sind zwei verschiedene Dinge.
Der Fraktionschef der SVP, Thomas Aeschi, hat gesagt, Ueli Maurer und Sie hätten sich gegen restriktive Massnahmen gewehrt. Stimmt das?
Ich und meine Kolleginnen und Kollegen kommentieren nie, was im Bundesrat passiert. Wir müssen ohne Druck diskutieren können. Es wird viel geschrieben. Ich respektiere das. Man muss damit leben. Aber ich gebe keinen Kommentar ab. Das ist das Beste, was wir als Bundesräte tun können.
Ist der Shutdown das Ende des bisherigen liberalen Schweizer Weges?
Nein, das denke ich nicht. Der Bundesrat tut, was er immer getan hat. Er analysiert die Situation, die neuen Entwicklungen und Erkenntnisse. Dann macht er eine Güterabwägung und am Ende entscheidet er. Das haben wir gemacht. Es sind Verschärfungen, natürlich. Aber es war die Analyse der aktuellen Situation, die den Bundesrat zu der Entscheidung geführt hat.
Aber dieser liberale Weg erfährt eine Abweichung. Er wird restriktiver...
Man kann liberal sein oder bleiben, wenn es nötig ist, oder wenn dieser Weg zu einer besseren Situation führt. Die Entscheidung war eine schwierige, aber dieser Weg ist der einzige, der jetzt möglich ist. Ich kann verstehen, dass es für die Menschen schwierig ist. Aber jetzt ist ein guter Moment für diese Massnahmen, damit sich die Situation so schnell wie möglich normalisiert.
Leider sind diese Verschärfungen jetzt nötig. Mit der Impfung sehen wir aber endlich ein bisschen Licht am Ende de Tunnels.
Der Bundesrat hat schon während der ersten Welle ständig Analysen gemacht. Wenn es möglich war, hat er Lockerungen beschlossen. Wenn es nötig war, hat er sich für Verschärfung entschieden. Das werden wir auch weiterhin so handhaben. Leider sind diese Verschärfungen jetzt nötig. Mit der Impfung sehen wir aber endlich ein bisschen Licht am Ende des Tunnels.
Diese restriktiveren Massnahmen müssen ja auch nachvollzogen werden können. Nun gibt es viele in der Bevölkerung, die sagen, sie seien etwas widersprüchlich. Können Sie diese Widersprüchlichkeit erklären?
Natürlich ist es schwer zu verstehen, wenn solche Massnahmen getroffen werden. Sie haben – das ist unvermeidlich – gewisse Auswirkungen. Dabei gibt es immer eine Grauzone und man muss sich für etwas entscheiden.
Aber es gibt immer Personen, die es mehr trifft, andere weniger.
Wir standen im engen Kontakt mit dem Bundesamt für Gesundheit und den Detailhandelsorganisationen, um die Kriterien für diese Entscheidung festzulegen. Das haben wir gemacht. Aber es gibt immer Personen, die es mehr trifft, andere weniger. Aber der Bundesrat hat auch in der Vergangenheit gezeigt, dass er das Dispositiv ändern kann, wenn er denkt, das sei nützlich. Und nochmal: Wir analysieren permanent die Situation.
Eine Kritik betrifft die Massnahme, dass sich nur noch fünf Personen treffen können. Stimmt es, dass diese in der Bundesratssitzung entstand?
Was im Bundesrat passiert, bleibt vertraulich. Die Entscheidung für fünf Personen ist sehr schwierig, nicht nur für Familien, aber auch für Veranstaltungen, auf öffentlichen Plätzen zum Beispiel. Denken Sie an die junge Generation. Das ist eine sehr, sehr harte Massnahme. Aber der Bundesrat hat entschieden, dass das jetzt nötig ist. Denn wir sind in einer schwierigen Situation mit dieser neuen Virusvariante, und diese Massnahme führt vielleicht dazu, dass wir Lockerungen früher beschliessen können.
Der Bundesrat beschliesst solche Massnahmen weitgehend in Absprache mit den Kantonen. Es gibt keine Debatte im Parlament. Reicht das?
Das ist eine interessante Frage. Wir haben eine Verfassung, wir haben ein Gesetz. Wir haben das Epidemiengesetz. Und wir haben das Covid-Gesetz. Das Parlament hat uns eine Marge de manoeuvre (Spielraum, Anm. d.Red.) gelassen. Und es kann intervenieren, wenn es nicht zufrieden ist. Es hat die Instrumente. Aber das Parlament hat auch gewisse Spielregeln, die es respektieren muss. Wir als Bundesrat arbeiten für das allgemeine Interesse der Schweiz. Und wir respektieren die Grundlagen, die wir haben.
Das Gespräch führte Oliver Washington.