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SP und die Grünen stecken in einer Beziehungskrise
Aus Tagesschau vom 14.12.2023.
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Beziehungsstatus kompliziert Grünen-Präsident wettert gegen SP – Streit oder Kalkül?

Balthasar Glättli kritisierte die SP so heftig wie noch nie. Und das noch am selben Tag der Bundesratswahlen. Was steckt wohl dahinter? Und ist links-grün deshalb zerstritten?

«Die SP hat ihre Seele an das Machtkartell verkauft.» Das sagte Grünen-Präsident Balthasar Glättli am Mittwoch nach den Bundesratswahlen im Interview mit dem «Tagesanzeiger». Die Ereignisse an den Bundesratswahlen schafften Klarheit in einer «schwierigen Beziehung» mit der SP. Er fühle sich nicht betrogen, sondern «befreit von falschen Rücksichtnahmen». «Wir schulden der SP nichts mehr.»

So hat man Balthasar Glättli noch nie gehört. Der abtretende Grünen-Präsident denkt sogar «in aller Gelassenheit» darüber nach, in Zukunft einen SP-Bundesratssitz anzugreifen. Ist da gerade ein Streit innerhalb des linken Lagers ausgebrochen?

Warum Glättli wütend ist

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Legende: Keystone/ANTHONY ANEX

Die nationalen Wahlen im vergangenen Oktober zeichneten ein klares Bild für die Grünen: Verlust von 3.4 Prozent Wähleranteil, fünf Sitzen im Nationalrat und zwei Sitzen im Ständerat. Trotzdem traten die Grünen am Mittwoch mit Gerhard Andrey zum zweiten Mal für den erstmaligen Einzug in den Bundesrat an. Begründet wurde dieser Entscheid im Vorfeld damit, dass die FDP mit ihren 14.3 Prozent am stärksten übervertreten und die Grünen mit 9.8 Prozent am stärksten untervertreten sind.

Dass das Vorhaben der Grünen hätte gelingen können, dafür hätten sie tatkräftige Unterstützung der SP benötigt – aber nicht nur. Einer Wahl Andreys hätten auch die GLP und ein Grossteil der Mitte-Partei zustimmen müssen. Glättli warf im Interview der SP vor, die Grünen und die SP hätten vier Jahre lang die Übervertretung der Bürgerlichen im Bundesrat beklagt. Doch zehn Minuten vor Beginn habe die SP dann erklärt, Andrey nicht zu unterstützen.

Das Dilemma der SP war: Die Nachfolge ihres Bundesrats Alain Berset wurde als Siebtes bestimmt, der Grünen-Angriff auf den FDP-Sitz als Zweites. Hätte die SP die Grünen bei ihrem Vorhaben unterstützt, wäre eine Retourkutsche bürgerlicherseits zu befürchten gewesen – insofern, als nicht die von der Partei vorgeschlagenen Kandidaten Beat Jans oder Jon Pult SP-Bundesrat würden, sondern ein wilder Kandidat. Entsprechende Androhungen gab es dazu im Vorfeld.

Für Politologe Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern, ist klar: Derartige Kritik aus grünem Mund an die Adresse der Sozialdemokraten ist neu. Trotzdem könne er sich einen langen Streit kaum vorstellen. Hinter diesen Aussagen stecke vermutlich ein Kalkül des Grünen-Präsidenten – und der ganzen Partei.

Die Grünen hätten sich in der Vergangenheit häufig im Schatten der SP bewegt, es verpasst, sich ein eigenes Profil zu geben und weniger emanzipiert gewirkt, so der Politologe. Seit der historischen Klimawahl 2019 wünscht sich Grün eine lautere Stimme, Augenhöhe.

Rücken Grüne und GLP jetzt näher zusammen?

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Legende: GLP-Präsident Jürg Grossen (links) und Glättli in Diskussionen am vergangenen Wahlabend. Keystone/Anthony Anex

Zwischen der grünen Partei und der SP ist also einiges an Geschirr zerbrochen – nach der für die Grünen missglückten Bundesratswahl. Doch: Gäbe es für die Partei nicht eigentlich einen noch natürlicheren Partner in der Politik als die SP – die Grünliberale Partei nämlich? In der Tat wird die Diskussion darüber in beiden Parteien intensiv geführt. Wo man dabei steht, hören Sie im Beitrag von Bundeshaus-Redaktorin Eliane Leiser aus dem «Echo der Zeit».

Mit den Äusserungen Glättlis sei «jetzt der Anspruch klar auf dem Tisch», sagt Golder weiter: Die Grünen wollen in den Bundesrat, auch auf Kosten der SP. Hinzu kommt: Für den scheidenden Parteipräsidenten sei es jetzt einfacher, Kritik zu üben, wenn er den Stab übergeben könne. «Er kann gezielt Geschirr zerschlagen», so Golder.

Langlebiges Geschirr

Aus dem Bundeshaus ertönen ähnliche Vorwürfe von Grün an Rot, aber weniger angriffig. «Wir sind nicht enttäuscht von der SP», sagt Grünen-Fraktionschefin Aline Trede. Die SP sei unter extremem Druck gestanden und habe deshalb Andrey in ihrer Fraktion nicht empfohlen.

Trotzdem wurde daraufhin der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch mit 70 Stimmen unterstützt, betont Trede. «Sie (die SP) muss sich überlegen, ob das die richtige Strategie war oder nicht.»

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Trede: «Hätte mehr Rückgrat von der SP erwartet»
Aus News-Clip vom 14.12.2023.
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In der Beziehung zur SP sei aber nichts kaputtgegangen, so Trede weiter. «Wir sind zwei Parteien. Es gibt immer Konflikte.» Aber sie müssten nach wie vor zusammen eine progressive Politik im bürgerlich dominierten Parlament durchbringen. Das würden sie in Zukunft auch weiterhin tun.

Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, versteht den Ärger der Grünen, sagt aber: «Es war ein Dilemma. Wir mussten in dieser Situation entscheiden: Riskieren wir für eine chancenlose Kandidatur der Grünen den zweiten Sitz der SP? Das wäre verantwortungslos gewesen gegenüber allen Wählerinnen und Wählern von links-grün», so Wermuth.

Es ist wie in einer guten Beziehung: Manchmal hat man Streit, aber man findet auch wieder zusammen.
Autor: Cédric Wermuth Co-Präsident SP

Wermuth ist trotz einer «taktischen Meinungsverschiedenheit» überzeugt, dass die beiden weiterhin gut zusammenarbeiten werden. Man wolle die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat brechen. Zudem sei die Grüne Partei ihre engste Partnerin. «Es ist wie in jeder guten Beziehung: Manchmal hat man Streit, aber man findet auch wieder zusammen», so Wermuth.

Dass also Glättlis Äusserungen sich auf die links-grüne Geschlossenheit auswirken werden, glaubt auch Politologe Golder nicht: «Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Geschirr so nachhaltig kaputtgeht.» Man habe jetzt nach den Wahlen die Chance, mit der erstarkten Mitte und den Neugewählten wieder Mehrheiten zu finden.

Fast eineiige Zwillinge

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Wie eine Auswertung der «Sonntagszeitung» Anfang Jahr zeigte, stimmen die beiden Parteien im Nationalrat beinahe identisch. Von 953 Abstimmungen im 2022 war sich die Mehrheit der SP und Grünen in 54 Fällen nicht einig. Anders gesagt: Die Linken stimmten in 94.3 Prozent der ausgewerteten Abstimmungen gleich ab.

Würden SP und Grüne als eine Partei betrachtet, so berechnete die Zeitung eine interne Geschlossenheit von 93 Prozent. Zum Vergleich: Die SVP als einzelne Partei liegt bei 92 Prozent.

Die Zeitung schrieb dazu: «Diese Zahlen werfen unweigerlich die Frage auf, ob SP und Grüne nicht gleich fusionieren sollten.»

Tageschau, 13.12.2023, 19:30 Uhr

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