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Cannabiskonsum bei Jungen Führt Kiffen bei Jugendlichen zu mehr psychischen Problemen?

Stagnierende Zahlen könnten laut Experten trügen. Die Dunkelziffer sei hoch, ein Späteffekt der Pandemie abzuwarten.

Der Cannabiskonsum treibe immer mehr Jugendliche in psychiatrische Behandlung, stellte der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) vor wenigen Wochen fest. Leider werde die laufend steigende Nachfrage nach medizinischer Hilfe banalisiert und verharmlost. Hat er recht? Die Frage geht an die Praxis.

«Im Moment zeigt sich das vor Ort noch nicht. Das liegt aber auch daran, dass höchstens jeder zehnte Jugendliche, der Probleme mit Cannabis hat, überhaupt Hilfe aufsucht», sagt Oliver Bilke-Hentsch, Chefarzt und Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste der Luzerner Psychiatrie.

Höchstens ein Zehntel der Jugendlichen mit Cannabis-Problemen sucht Hilfe auf.
Autor: Oliver Bilke-Hentsch Chefarzt, Leiter Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste Luzern

Das lässt auf eine vermutlich hohe Dunkelziffer schliessen. In Umfragen geben zwischen 30 und 50 Prozent der Jugendlichen an, schon Cannabis geraucht zu haben. Jede und jeder Zehnte tut dies nach eigenen Angaben regelmässig. Offen bleibt dabei, wie oft Cannabis tatsächlich Probleme macht.

Facharzt Bilke-Hentsch: «Man weiss, dass es bestimmte Personen gibt, die durch ein bis zwei Joints über Monate psychiatrisch werden. Es gibt aber auch jene, die das Cannabis über zwei bis drei Jahrzehnte wohlgeordnet als Freizeitdroge zu sich nehmen und keinerlei Probleme haben.

Einstiegsalter als wichtiges Kriterium

Laut Bilke-Hentsch hängt das Ganze wohl sehr stark davon ab, wann jemand mit dem Konsum beginnt, wie stark die Dosis gesteigert wird oder werden muss, wie hoch die Konzentration ist und ob noch weitere Erkrankungen vorliegen. Anders gefragt: Sind psychische Probleme schon vor dem Griff zum Joint da? Oder lösen die psychoaktiven Substanzen die Probleme erst aus?

Häufiger gehen psychische Probleme dem Cannabiskonsum voraus.
Autor: Marc Vogel Chefarzt, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Basel

Es gebe beides, doch häufiger gingen psychische Probleme dem Cannabiskonsum voraus, erklärt Chefarzt Marc Vogel vom Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen in Basel. Cannabis werde hier als Mittel eingesetzt, um mit Stress in der Schule oder in anderen Lebenssituationen und psychiatrischen Symptomen wie Angst oder Depressionen umzugehen.

Konstante Zahlen von Hilfesuchenden

Cannabis kann in diesen Fällen also vorübergehend die Stimmen im Kopf zum Schweigen bringen oder beim Einschlafen helfen. Die Zahl junger Menschen, die wegen Problemen durch Cannabis bei den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel Rat suchen, sei in den letzten Jahren konstant geblieben, so Chefarzt Vogel.

Konstanz zeigen auch die Zahlen von Sucht Schweiz. Der Bund beziffert den problematischen Cannabiskonsum bei Menschen zwischen 15 und 25 Jahren auf unter vier Prozent.

Schnelle Belohnung: Alkohol, Zigaretten, Cannabis

Was leicht verfügbar sei, werde auch eingesetzt, ergänzt Vogel: «Cannabis ist nicht die erste Substanz, die ins Spiel kommt. Alkohol und Zigaretten sind meistens schon vorher dabei zum Stressabbau.» Das ist problematisch, weil bei Jugendlichen die Hirnentwicklung noch voll im Gang ist. Nehmen Minderjährige die Substanzen zu sich, kann sich das prägend auswirken, und zwar negativ.

Entscheidend sei hier das Belohnungssystem, erklärt Bilke-Hentsch. Und dabei die Frage: Wie kann ich Belohnungen aufschieben, wie kann ich mich beherrschen und Impulse steuern? Oder weiche ich den Themen mit einem Cannabisrausch quasi als Dauerzustand aus und komme dann auch nicht zu schulischen Ausbildungsfortschritten?

Kiffen.
Legende: Nach Alkohol und Nikotin steht Cannabis auf Platz drei der Liste der problematischen Stoffe für Jugendliche und junge Menschen. Keystone/Christof Schuerpf

Eine völlige Freigabe von Cannabis würde dieses noch leichter zugänglich machen. Der Konsum und die Probleme nähmen zu – auch bei jungen Menschen.

Banalisiert werde der Cannabiskonsum junger Menschen keineswegs – betonen die beiden Fachärzte. Gut möglich aber, dass mit dem deutlichen Anstieg von psychischen Problemen während der Pandemie in einem zweiten Schritt auch die Probleme mit Cannabis noch zunehmen werden.

Rendez-vous, 27.03.2023, 12:30 Uhr

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