Langsam, aber kontinuierlich steigen die Corona-Fallzahlen an. Mittlerweile geht die Tendenz gegen 300 Neuansteckungen pro Tag. Am Donnerstag demonstrierten Bund und Kantone nach der jüngsten Kakophonie Einigkeit – und beurteilten die Corona-Lage als fragil, aber unter Kontrolle.
Bundesrat Alain Berset appellierte erneut an die Eigenverantwortung der Bevölkerung: «Es ist nicht einfach, die Abstands- und Quarantäneregeln einzuhalten, aber tun Sie es.»
Die ETH-Professorin Tanja Stadler ist Mitglied der Corona-Taskforce des Bundes und entwickelt Methoden, um die Ausbreitung von Virus-Epidemien zu berechnen. Sie bezeichnet die aktuelle Situation als «sehr fragil».
Wir müssen anderswo die Schraube anziehen, um Infektionen zu verhindern.
Allerdings: Zur Zeit des Lockdowns Mitte März verzeichnete das BAG ungleich höhere Fallzahlen; teilweise gab es um die 1400 Neuansteckungen pro Tag. Für die Mathematikerin ist das kein Grund zur Entwarnung – es drohe der erneute Kontrollverlust: «Die Fallzahlen verdoppeln sich derzeit in ein bis anderthalb Monaten. Das heisst, die Epidemie wächst exponentiell.»
Der Trend lässt sich für Stadler nur stoppen, wenn neue Massnahmen ergriffen werden. «Oder wir alle verändern unser Verhalten. Ideal wäre eine Kombination von beidem.»
Banger Blick auf den Herbst
Derzeit ist die Sterberate vergleichsweise tief und die Spitäler haben Platz. Das bestätigt auch Stadler: «Momentan sind hauptsächlich junge Personen infiziert, und ein Grossteil von ihnen muss nicht hospitalisiert werden.» Doch auch sie sind nicht gefeit vor dem Virus. Denn es gebe immer mehr Berichte über junge Patienten, die noch Wochen und Monate später an Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung litten.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Der Schulbetrieb wird hochgefahren, ab Oktober sollen Grossveranstaltungen wieder möglich sein, und die Menschen halten sich vermehrt in Innenräumen auf. Kurz: Die Gefahr von Übertragungen steigt. «Wir müssen anderswo die Schraube anziehen, um Infektionen zu verhindern», folgert Stadler.
Was tun?
Um die Situation kontrollieren zu können, plädiert die ETH-Forscherin für «Massnahmen, die uns alle nicht zu sehr einschränken». Eine davon: eine strengere Maskenpflicht im Land. Denn Studien würden deren Nutzen belegen. «In Innenräumen eine Maske anzuziehen, würde sicher nicht alles über den Haufen werfen», sagt Stadler.
Auch eine forcierte Rückkehr der Arbeitnehmenden ins Homeoffice wäre für Stadler ein gangbarer Weg. «Aus BAG-Daten wissen wir, dass es relativ viele Übertragungen am Arbeitsplatz gibt.» Zudem würde die Massnahme auch Platz im ÖV schaffen. Die ETH-Professorin schliesst mit einer Warnung: Sobald die Kantone das Contact Tracing nicht mehr stemmen könnten, werde die Situation dramatisch.