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Corona-Leaks beim Bundesrat «Entscheidend ist, ob sich ein Medium steuern lässt oder nicht»

Im Zusammenhang mit den Corona-Lecks hat ein Sonderermittler gegen Peter Lauener, den früheren Kommunikationschef von Bundespräsident Alain Berset, ein Strafverfahren eröffnet. Doch auch die Medienbranche steht unter Beschuss. SRF-Journalist Michael Perricone ordnet ein.

Michael Perricone

Chef vom Dienst, SRF Newsroom

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Michael Perricone ist Chef vom Dienst in SRF Newsroom und gibt am Medienausbildungszentrum MAZ einen Kurs für Journalistinnen und Journalisten zum Umgang mit PR. Er hat 2011 als Leiter Ressort Politik bei der «Blick»-Gruppe gearbeitet.

SRF News: Hat der «Blick» Regeln verletzt mit der Verwertung der geheimen Informationen aus dem Bundeshaus?

Michael Perricone: Christian Dorer, der Chefredaktor der Blick-Gruppe, bestreitet heute in einer internen Mail, dass sein Chef Marc Walder überhaupt involviert gewesen sei in die redaktionelle Arbeit. Das kann man glauben oder nicht. Jedoch kann jeder und jede einer Redaktion geheime Informationen zuhalten, auch der eigene Chef.

Gibt es überhaupt keine Vorgaben?

Fast jede Redaktion hat ein Redaktionsstatut, in dem es die ethischen Kriterien der eigenen Arbeit umreisst. Wichtig ist für alle Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz, welche Grundsätze der Presserat festlegt. Das von der Branche zusammengesetzte Gremium überwacht die journalistische Arbeit in der Schweiz. In einem seiner Entscheide hält der Presserat fest, dass ein regelmässiger Informationsaustausch mit einer Quelle ein Risiko für die Unabhängigkeit des Journalisten darstellt.

Da die Vorabinformationen von Bersets Departement offenbar regelmässig bei Ringier landeten, muss sich Ringier tatsächlich fragen, wie unabhängig der «Blick» noch war. Als Gedankenspiel: Hätte «Blick» die Infos aus Bern nicht so umgesetzt, wie man sich das in Bern wünschte, wären die Infos wahrscheinlich nicht regelmässig immer wieder geliefert worden.

Der Presserat hält fest, dass ein regelmässiger Informationsaustausch mit einer Quelle ein Risiko für die Unabhängigkeit des Journalisten darstellt.

Die Informationen sollen direkt von Alain Bersets Informationschef Peter Lauener gekommen sein.

Und das scheint mir das wirklich Gravierende an diesem Fall. Wenn das so war, dann ist Bundespräsident Berset dem Vorwurf ausgesetzt, er habe mit dieser gezielten Informationspolitik auf die anstehenden bundesrätlichen Entscheide einwirken wollen.

An der Indiskretion soll der Ringier-CEO mitgewirkt haben. Wenn sich dieser Vorwurf bestätigt: Macht das den Fehltritt gravierender?

Dass ein CEO wichtige Informationen an seine Redaktion weitergibt, finde ich völlig ok. Die Frage ist, ob er Druck auf seine Redaktion ausübte, dass diese in seinem Sinne berichtet. Das wäre ein internes Problem.

Haben Ringier und der «Blick» alles richtig gemacht?

Aus medienethischer Sicht muss sich Ringier – und auch alle anderen Medienhäuser – die Glaubwürdigkeitsfrage stellen: Macht man sich von einer Quelle abhängig, wird man von dieser auch gesteuert. Man kann der Filterfunktion, welche Qualitätsjournalismus auszeichnet, nicht mehr gerecht werden. Man läuft Gefahr, etwas zur grossen Geschichte zu machen, weil es die Quelle wünscht und nicht, weil es von grosser Relevanz ist. Der Presserat hält deshalb explizit fest, dass Redaktionen Informationen, welche ihnen zugetragen werden, frei verwenden dürfen, ohne Anweisungen der Informanten.

Aus medienethischer Sicht muss sich Ringier – und auch alle anderen Medienhäuser – die Glaubwürdigkeitsfrage stellen.

Es entsteht der Eindruck, dass Medien und der Staat ein gemeinsames Spiel spielen.

Ja, dieser Eindruck entsteht, und deshalb betrifft der vorliegende Fall alle Medien. Denn jedes Medium erhält dann und wann von irgendwoher geheime Informationen. Ohne könnten Medien ihre «Wachhund»-Funktion oft nicht wahrnehmen, Stichwort Whistleblower. Deshalb ist es so entscheidend, ob sich ein Medium bei seiner Berichterstattung von einer Informationsperson steuern lässt oder nicht. Schlussendlich entscheiden die Leserinnen und Leser, die Zuschauerinnen und Zuschauer, ob sie ein Medium für glaubwürdig halten.

SRF 4 News, 10.01.2023, 5 Uhr ; 

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