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Coronapolitik des Bundesrats «Dem Bund geht es nur noch um die Überlastung der Spitäler»

In der Schweiz steigt die Zahl der Coronafälle wieder deutlich an. Gleichzeitig steigt auch die Zahl derer, die sich gegen das Virus impfen lassen, wenn auch nicht mehr so rasant. Für den Bundesrat bedeutet das: Es gibt zurzeit keine Verschärfungen, aber gleichzeitig auch keine Lockerungen. Ergibt das aus wissenschaftlicher Sicht Sinn? SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis nimmt Stellung.

Daniel Theis

SRF-Wissenschaftsredaktor

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Daniel Theis ist promovierter Atmosphärenchemiker und Mikrobiologe. Seine Spezialgebiete sind Energiethemen, Mobilität und technische Entwicklungen. Er arbeitet seit 2013 in der SRF-Wissenschaftsredaktion.

SRF News: Hat es aus wissenschaftlicher Sicht einen Sinn, die Massnahmen nicht zu verschärfen, aber gleichzeitig auch nicht zu lockern?

Daniel Theis: Die Situation heute ist sehr schwer einzuschätzen. Die Fallzahlen und ganz langsam auch die Spitaleinweisungen steigen – knapp 20 sind es nun pro Tag. Es gibt warnende Stimmen, die sagen, dass wir mit einer Verdopplungszeit von zwei bis drei Wochen schon bald bei 40, dann 80 und so weiter Spitaleinweisungen stehen. Das lässt sich nicht exakt voraussagen, ist aber im Bereich des Möglichen. Der Entscheid, keine weiteren Lockerungen einzuführen, muss man wohl in diesem Licht sehen. Es gibt doch viel Respekt vor dem, was wieder auf uns zukommen könnte.

Der Bundesrat sagt nun: Das Impfangebot an die Bevölkerung wurde gemacht und wer es nicht genutzt hat, ist selber schuld.

Nun wird die sogenannte Normalisierungsphase eingeläutet. Was bedeutet das genau?

Der Bund sagt damit, dass die Menschen nicht mehr prinzipiell geschützt werden müssen. Es gehe nur noch darum, die Spitäler vor einer Überlastung zu bewahren. Ganz offiziell heisst es darum auch, dass wir schwere Krankheitsverläufe und auch Todesfälle in Kauf nehmen müssen. Der Bundesrat sagt nun: Das Impfangebot an die Bevölkerung wurde gemacht und wer es nicht genutzt hat, ist selber schuld. Diese Sicht teilen aber nicht alle. Gerade Mediziner bemängeln teilweise, dass man den Menschen die Impfung besser hätte erklären müssen und auch besser auf Vorbehalte eingehen, die teilweise da sind.

Der Bund nimmt mehr Corona-Fälle in Kauf. Das bedeutet auch, dass wir auf die sogenannte Herdenimmunität zusteuern. Weiss man, wie viele Prozent Genesene oder Geimpfte es dazu braucht?

Diese Prozentzahl wurde tatsächlich immer wieder nach oben korrigiert. Aktuell mehren sich Stimmen, die sagen, dass es aufgrund der Delta-Variante gar keine Herdenimmunität geben werde, weil diese Variante so ansteckend sei. Konkret hiesse das, dass jede Person früher oder später Kontakt mit dem Virus haben würde.

Droht die Überlastung der Spitäler, heisst das, dass keine rasch wirksamen Massnahmen mehr zur Verfügung stehen.

Obwohl nun die Normalisierungsphase beginnt, bleibt gemäss Bundesrat relativ unklar, wie diese neue Normalität aussehen wird?

Ja, Masken und Zertifikate werden uns auf diesem Weg wohl noch eine Weile begleiten. Der Bund sagt, es soll keine Schliessungen von Betrieben mehr geben. Droht die Überlastung der Spitäler, heisst es aber auch, dass keine rasch wirksamen Massnahmen mehr zur Verfügung stehen. Und damit wird die Schwierigkeit im Herbst sein, früh genug zu reagieren, falls nötig.

Das Gespräch führte Rino Curti.

SRF 4 News, 12.08.2021, 06:00 Uhr ; 

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