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Covid-Gesetz Keine überbordende Macht für den Bundesrat

Man hätte meinen können, die Schweiz stehe unmittelbar vor einem Staatsstreich, wenn man in den letzten Tagen die Kommentare einzelner Staatsrechtler und von «besorgten Bürgern» las.

Kein Ermächtigungsgesetz

Selbst der Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis wurde bemüht. Hat unsere Landesregierung in der Coronakrise so Gefallen an der Macht gefunden, dass sie sich jetzt mit dem Covid-Gesetz quasi auf Vorrat massiv mehr Kompetenzen zuschanzen will? Alles halb so wild, darf man nach einer sehr sachlichen Debatte im Nationalrat feststellen.

Man kann es sogar umgekehrt sehen: Nicht der Bundesrat, sondern das Parlament, die Kantone und die Sozialpartner, selbst die Verbände der Städte und Gemeinden, erhalten mehr Macht in der Pandemie. Im Gesetz wird nach dem Willen des Nationalrats nämlich stehen: Sie alle muss der Bundesrat miteinbeziehen, falls er neue Massnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verfügen will, sollte sich die Situation in den nächsten Monaten verschlechtern.

Bundesrat hat selber korrigiert

Auch zeigt der Entstehungsprozess dieses Gesetzes, dass die parlamentarische Kontrolle funktioniert. Nachdem SP, FDP und SVP den ersten Vorschlag des Bundesrates in der Vernehmlassung mit scharfer Kritik ablehnten, strich die Landesregierung schon von sich aus die heikelsten Punkte. So gilt das Covid-Gesetz nur bis Ende 2021 und nicht bis 2022. Und der Bundesrat schlug von sich aus vor, die Kantone miteinzubeziehen, sollten weitere Massnahmen nötig sein.

Man kann sich auch fragen: Was wäre die Alternative zu einem solchen Gesetz in dieser besonderen Situation? Die Alternative wäre wohl, dass der Bundesrat wieder zu Notrecht gestützt auf die Bundesverfassung greifen müsste. Und das kann er theoretisch immer, wenn er es für nötig hält – ohne Parlament und Kantone miteinzubeziehen.

Mit dem Covid-Gesetz aber wird die Schwelle nun deutlich höher liegen. So schnell wird die Landesregierung nicht mehr zu Notrecht greifen – wie sie das drei Monate lang gemacht hat in der Hochphase der Pandemie. Vor allem wird der Bundesrat kein Notrecht mehr ergreifen können, ohne mit den parlamentarischen Kommissionen, den Kantonen, Sozialpartner und weiteren wichtigen Interessenvertretern im Land gesprochen zu haben.

Problematische Verknüpfung

Unglücklich ist allerdings, dass der Bundesrat in ein und demselben Gesetz seine Befugnisse und auch gleich die wirtschaftliche Hilfe für Corona-Betroffene geregelt hat.

Für die Gegner, die aus staatspolitischen Bedenken das Gesetz ablehnen wollten, wurde das zum fast unüberwindbaren Dilemma. Ein Nein hätte bedeutet, dass man auch gleich die Hilfe für die vielen hunderttausend Betroffenen im Land gekappt hätte.

Hilfe wichtiger als staatspolitische Bedenken

Kaum ein Parlamentsmitglied wollte sich am Schluss dem Vorwurf aussetzen, den Leuten aus staatspolitischen Überlegungen den Boden unter den Füssen weggezogen zu haben. Zumal heute auch zum Teil bei der FDP und der SVP ein Umdenken stattgefunden hat: Es genügt nicht mehr, von Selbstverantwortung zu sprechen und keine weitere Hilfe zu unterstützen. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer aus den «vergessenen» Branchen brauchen schlicht Geld zum Überleben. Auch die meisten Bürgerlichen unterstützen deshalb eine Härtefallregelung für Schausteller, Reisebüros oder Veranstalter.

Andy Müller

Bundeshausredaktor

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Andy Müller ist Bundeshausredaktor des Schweizer Fernsehens. Zuvor war er Themenplaner und stellvertretender Redaktionsleiter von «10vor10».

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Tagesschau, 09.09.20, 12:45 Uhr

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