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Covid-Impfung in der Schweiz Ein grosser Erfolg – mit einem grossen Aber

Noch vor Kurzem wurden die Schweizer Behörden kritisiert, dass sie zu langsam seien bei der Zulassung des Impfstoffes gegen Covid 19 – man solle sich doch der viel schnelleren EU-Zulassung anschliessen, wurde zum Beispiel moniert.

Heute präsentieren Swissmedic und das Bundesamt für Gesundheit die weltweit erste reguläre Zulassung eines Covid-19- Impfstoffes. Das ist ein spektakulärer Erfolg für die viel kritisierten Behörden – auch wenn man davon ausgehen kann, dass die im Voraus geübte Kritik den Zulassungsprozess durchaus beschleunigt haben dürfte.

Wenn alles so läuft wie kommuniziert und geplant, dann werden noch in diesem Jahr erste Risikogruppen geimpft – ab Januar wird es dann flächendeckend losgehen. Das ist deutlich schneller, als es sich Fachwelt und Politik noch vor wenigen Monaten in den kühnsten Träumen vorgestellt haben.

Licht am Ende des Tunnels

Diese grossartige Nachricht kommt just einen Tag, nachdem der Bundesrat für die Schweiz ein ganzes Paket an Verschärfungen präsentiert hat und uns alle einmal mehr und eindringlicher denn je aufgefordert hat, unsere Selbstverantwortung wahrzunehmen, die Kontakte zu reduzieren und den eigenen Radius auf das Notwendigste zu beschränken.

Im besten Fall ergänzen sich die Botschaften von gestern und von heute: Die Bevölkerung wird zusätzlich motiviert, die harten Massnahmen umzusetzen, weil man endlich Licht am Ende des Tunnels sieht.

Im schlechtesten Fall passiert genau das Gegenteil. Jetzt ist der Impfstoff da, die Gefahr gebannt, dann müssen wir uns doch nicht so einschränken, wie der Bundesrat uns das befiehlt – so mögen einige jetzt denken. Und das wäre fatal.

Impfstoff ist kein Wundermittel

Denn der Impfstoff ist, auch wenn die Versprechen zu Sicherheit und Wirksamkeit erfüllt werden, kein Wundermittel. Erstens beträgt die Wirksamkeit «nur» etwas über 90 Prozent, das heisst, knapp jeder zehnte Geimpfte wird keinen Schutz erhalten. Zweitens wird es im besten Fall bis im Frühsommer dauern, bis alle Impfwilligen geimpft sein werden.

Drittens ist bei der herrschenden Impfskepsis in der Schweiz damit zu rechnen, dass eine vollständige Durchimpfung der Bevölkerung nur schwer erreicht werden kann. Viertens wissen wir noch nicht, wie lange der Impfschutz anhält. Und fünftens, und das ist das wichtigste, können geimpfte Personen zwar nicht oder fast nicht erkranken. Es ist aber nicht sicher, ob sie das Virus nicht doch weitergeben können.

Das sind viel zu viele Vorbehalte, als dass wir uns in Sicherheit wiegen könnten. Und vor allem wird der neue Impfstoff die zunehmend dramatische Situation in den Notfall- und Intensivpflegestationen der Schweiz (noch) kein bisschen mildern. Deshalb kann man nur hoffen, dass die heutige Botschaft (Sie können sich bald impfen lassen!) die gestrige (Bleiben Sie zu Hause!) verstärkt, aber nicht überlagert. Die Frauen und Männer auf den Intensivstationen werden es uns danken.

Urs Leuthard

Leiter Bundeshausredaktion

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Seit Sommer 2020 ist Urs Leuthard Leiter der Bundeshausredaktion von Fernsehen SRF. Bereits seit 2002 moderiert er das «Abstimmungsstudio» und analysiert Wahlen und Abstimmungen. Bis 2008 war er Moderator und Redaktionsleiter der «Arena», danach wechselte er zur «Rundschau», bevor er 2012 die Redaktionsleitung der «Tagesschau» übernahm.

Hier finden Sie weitere Artikel von Urs Leuthard und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 13 Uhr, 19.12.2020

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