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Debatte um Milliarden «Nach der Pandemie braucht es die Entwicklungshilfe erst recht»

Der Nationalrat will in den nächsten vier Jahren maximal 11.25 Milliarden für die internationale Zusammenarbeit ausgeben. Anträge für mehr und weniger Mittel sind gescheitert. Noch ist das letzte Wort aber nicht gesprochen: Die Vorlage geht nun in den Ständerat.

Mark Herkenrath kennt die Situation in den armen Regionen der Welt und erklärt, warum gerade die Coronakrise die Gefahr von mehr Armut bedeutet.

Mark Herkenrath

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Mark Herkenrath ist Geschäftsleiter von alliance sud, der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke (Heks, Helvetas, Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Caritas).

SRF News: Was wäre das Risiko , wenn man jetzt oder in den nächsten Jahren die Mittel für die Entwicklungshilfe kürzen würde – au ch in Anbetracht der Coronakrise?

Mark Herkenrath: Ganz massive Entwicklungsrückschritte. Wir wissen jetzt schon, dass die Entwicklungsländer durch die Pandemie gesundheitliche und humanitäre Probleme haben – und in den nächsten Jahren auch massive wirtschaftliche Probleme haben werden. Weil – genauso wie in der Schweiz – auch die Wirtschaft in Entwicklungsländern massiv leidet. Und das übersetzt sich in Entwicklungsländern natürlich immer sehr rasch in Hunger, Mangelernährung und krasse Armut.

Die Weltbank rechnet damit, dass Millionen von Menschen neu in extreme Armut geraten.

Die Weltbank rechnet damit, dass Millionen von Menschen neu in extreme Armut geraten wegen der Folgen der Krise. Wir wissen auch, dass in den Lockdowns, die es in Entwicklungsländern gibt, alle lokalen Organisationen, die Partner der Schweizer Hilfswerke, aber auch Menschenrechtsorganisationen, NGO, die gegen Korruption kämpfen, keine Chance haben, überhaupt aus dem Haus herauszukommen.

Dadurch wird die Zivilgesellschaft massiv geschwächt. Autoritäre Regimes können ohne Kontrolle durch die Zivilgesellschaft machen, was sie wollen. Es braucht viel Wiederaufbau nach der Coronakrise, und da braucht es die Entwicklungszusammenarbeit erst recht.

Bereits vor der Krise hat Aussenminister Ignazio Cassis die Strategie verändert. Er möchte künftig mehr mit dem Privatsektor, mit Firmen vor Ort zusammenarbeiten, um Arbeitsplätze zu schaffen. Bei den Entwicklungshilfeorganisationen kommt das nicht gut an. Warum nicht?

Es ist nicht so, dass es nicht gut ankommt, wenn es mehr Partnerschaften mit dem Privatsektor geben soll. Was überhaupt nicht gut ankommt, ist die Planlosigkeit des Bundesrates. Wir wissen nicht, wann, wie, wo oder mit welchen Unternehmen und welchen Zwecken solche Partnerschaften gemacht werden sollen.

Wie könnte es funktionieren?

Es kann dann funktionieren, wenn es klare Kriterien gibt, mit welchen Unternehmen man zusammenarbeitet. Es darf keine Partnerschaften geben mit Unternehmen, die irgendwo auf der Welt Menschenrechte verletzen oder in Umweltskandale verwickelt sind. Und es kann funktionieren, wenn es klare, messbare Zielvereinbarungen gibt, ob die Ziele erfüllt werden oder nicht. So wie bei der Zusammenarbeit mit den Hilfswerken, wo die Wirksamkeit aufgrund von ganz klaren Zielsetzungen messbar sein muss. Das braucht es auch bei Partnerschaften mit dem Privatsektor.

Die Fragen stellte Gion-Duri Vincenz.

Tagesschau vom 15.06.2020 ; 

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