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Delikte, Prozesse & Einzelhaft Die unglaubliche Chronologie des Falls «Brian»

«Brian ist kein Monster», sagen seine Anwälte. Dutzende Delikte habe er begangen, viele davon in Haft. Das ist seine Haftgeschichte.

1995 bis 2010 – Kindheit: Brian Keller wird 1995 in Paris geboren und zieht später mit seiner Familie in die Schweiz. Bereits in seiner Kindheit wird er in verschiedene Institutionen eingewiesen. Im Alter von 12 Jahren wird er acht Monate lang in Erwachsenengefängnissen eingesperrt und verbringt in der Einzelhaft 23 Stunden am Tag alleine in der Zelle. Danach hat Brian jahrelang Schlafstörungen.

2011 – schweres Gewaltdelikt: Zwischen 2006 und 2011 begeht Brian insgesamt 34 Delikte. Mit 15 Jahren sticht er einem 18-Jährigen zweimal ein Messer in den Rücken. Brian wird wegen schwerer Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung zu neun Monaten Haft verurteilt. Auch da verbringt er einen Teil seiner Strafe in Einzelhaft. Zweimal versucht er, sich das Leben zu nehmen und wird später in die psychiatrische Universitätsklinik (PUK) Zürich eingewiesen.

2011 – PUK: In der PUK wird er während 13 Tagen ununterbrochen ans Bett fixiert und zwangsmedikamentiert.

Rechtliche Folgen der Fixation

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Seine Schwester reichte wegen der Ereignisse Strafanzeige ein. Im August 2020 wurden die Ärzte freigesprochen. Das Zürcher Bezirksgericht hatte entschieden, dass die Fixation verhältnismässig gewesen sei. Im Juli 2023 hob das Bundesgericht den Freispruch nach einer Beschwerde von Brians Anwälten auf und anerkannte, dass Brian möglicherweise Opfer von Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung wurde.

Auf die Toilette gehen oder duschen darf er nicht. Für Stuhlgang und Urin seien einige Fixierungen leicht gelockert worden, damit er – im Liegen – seine Geschäfte erledigen kann, berichtet die Organisation humanrights.ch.

2013 – Sondersetting: Brian kommt in ein für ihn entworfenes Sondersetting, das seinen Bedürfnissen entsprechen soll. Es beinhaltet Box-Training, Einzelunterricht und Psychotherapie.

Medienrummel wegen SRF Dok

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Im SRF Dok «der Jugendanwalt» wurde über das Sondersetting und die Kosten von 29'000 Franken pro Monat berichtet. Die hohen monatlichen Kosten haben in den Medien für Empörung gesorgt. Das Sondersetting wurde anschliessend vorzeitig abgebrochen und Brian kam von August 2013 bis Februar 2014 zurück in Einzelhaft im Gefängnis Limmattal. Am 18. Februar 2014 entschied das Bundesgericht, dass die Inhaftierung von Brian widerrechtlich war und er konnte zurück ins Sondersetting.

Von Oktober 2014 bis April 2015 war er erneut in Einzelhaft, da er fälschlicherweise beschuldigt wurde, eine Person mit einem Klappmesser bedroht zu haben. Er wurde später freigesprochen und mit 100 Franken pro Hafttag entschädigt.

2016 – versuchte schwere Körperverletzung: Von 2011 bis 2015 lässt sich Brian nichts zuschulden kommen. Im März 2016 wird er wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Brian kommt erneut in Einzelhaft in verschiedenen Gefängnissen.

2017 – Gefängnis Pfäffikon: Hier schläft Brian über zwei Wochen lang auf dem nackten Boden, nur mit einem Poncho und ohne Unterwäsche.

Haftbedingungen «unmenschlich»

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2021 anerkannte das Bezirksgericht Zürich, dass die Haftbedingungen im Gefängnis Pfäffikon eine unmenschliche Behandlung dargestellt hatten. Seine Forderungen auf Schadenersatz und Genugtuung wurden jedoch abgewiesen.

Er durfte laut humanrights.ch nicht duschen und tagelang die Zähne nicht putzen. Während drei Wochen trägt er Fussfesseln und ihm wird der Hofgang verweigert.

2017 bis 2022 – Justizvollzugsanstalt Pöschwies: Brian hat seine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren fast abgesessen, als ihm mitgeteilt wird, dass er vom offenen Gruppenvollzug in Einzelhaft versetzt werde. Die Begründung: Mitgefangene hätten einen Angriff auf ihn geplant. Brian verliert die Beherrschung im Büro des Leiters der JVA und wirft einen Stuhl an die Wand. Es folgt ein Gerangel mit den Gefängnismitarbeitern.

Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung

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Im November 2019 wird er unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung zum Nachteil des Gefängnismitarbeiters zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Der Gefängnismitarbeiter hatte bei dem Gerangel Prellungen erlitten. Brian wurden damals 29 Delikte vorgeworfen und er wurde in allen Punkten schuldig gesprochen. Zudem wurde er zu einer sogenannten «kleinen Verwahrung» verurteilt. 2021 erhöhte das Obergericht Brians Freiheitsstrafe auf sechs Jahre und vier Monate, verzichtete aber auf die Anordnung einer stationären Massnahme. Brian beschwerte sich und im November 2021 hiess das Bundesgericht die Beschwerde von Brian gut. Das Obergericht musste nochmal über die Bücher.

Brian wird darauf in die psychiatrische Universitätsklinik Zürich eingewiesen und muss später wegen des Vorfalls in der JVA Pöschwies in Untersuchungshaft.

Haftbedingungen in der JVA Pöschwies

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Während seiner Zeit in der JVA Pöschwies konnte er während drei Monaten nicht aus dem Fenster sehen, weil es mit einer Folie abgedeckt wurde. Er durfte lange keine Briefe verschicken und telefonieren, erhielt keinen Besuch, durfte nur den Koran oder Anwaltspost lesen und der Hofgang wurde ihm verweigert. Wie humanrights.ch berichtet, bekam er nach 8 Monaten den ersten Stift aus Gummi, um sich Notizen zu machen. Insgesamt hatte Brian während mehr als zwei Jahren keinen Körperkontakt. Seinen Vater durfte er das letzte Mal während eines Besuchs im Mai 2018 sehen.

Zwischen September 2020 und Januar 2021 wurden Brian zwei externe ärztliche Untersuchungen verweigert. Zudem durfte er während zwei Jahren nur mit starren Hand- und kurzen Fussfesseln in den Hof geführt werden. Ab Mai 2021 erhielt Brian einen eigenen Hof für den Hofgang, die er ohne Fesselung betreten durfte.

Bis 2022 lebt Brian mit Unterbrüchen in der JVA Pöschwies. Dazwischen kommt er unter anderem für kurze Zeit ins Regionalgefängnis Burgdorf und in zwei verschiedenen psychiatrischen Kliniken.

Im Dezember 2021 wird er aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids von der Einzelhaft in ein Untersuchungsgefängnis verlegt und in ein normales Haftregime eingegliedert. Dort kann er Kontakte zu Mitinsassen pflegen.

UNO-Interventionen

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Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatters für Folter, intervenierte zweimal wegen Brians Haftbedingungen. Er forderte die Aufhebung von Brians Einzelhaft und die Untersuchung der Misshandlungsvorwürfe seit 2006. Zudem äusserte sich eine UNO-Expertengruppe im Herbst 2022. Der Umgang der Schweizer Behörden mit Brian sei stark von negativen rassistischen Überzeugungen und Stereotypen über Schwarze Männer und Jugendliche geprägt.

2022 Freilassung und U-Haft: Im März 2022 verlängert das Obergericht die Sicherheitshaft. Das Bezirksgericht ordnet Ende Oktober 2022 die Freilassung von Brian aus der Sicherheitshaft an.

Plastikfigur von Brian
Legende: Eine Kunstinstallation des Kollektivs #BigDreams. Das Kollektiv setzt sich seit 2021 für Brian ein und hat zur Berichterstattung rund um einen Prozess im Jahr 2021 Stellung bezogen. Keystone/Ennio Leanza

Nur drei Tage vor seiner Freilassung stellt die Staatsanwaltschaft erneut Antrag auf Untersuchungshaft wegen 33 Taten, die Brian mehrheitlich in der JVA Pöschwies zwischen 2018 und 2022 begangen haben soll. Der Antrag wird genehmigt. Nach Einreichung der Anklage wird vom Bezirksgericht Dielsdorf Sicherheitshaft angeordnet.

2023 – aktueller Prozess: Das Bezirksgericht Dielsdorf verurteilt den 28-Jährigen zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft. Allerdings: Am 10. November 2023 werde Brian aus der Sicherheitshaft entlassen, verfügte der Richter. Er kommt also bis auf Weiteres frei. Allerdings muss er die Freiheitsstrafe von 2.5 Jahren möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt antreten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann noch ans Obergericht und ans Bundesgericht weitergezogen werden.

SRF1 Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 30.10.2023, 06:30 Uhr ; 

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