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Demonstrationen und Corona «Es ist beunruhigend, so viele ohne Gesichtsmaske zu sehen»

Am Samstag sind in der Schweiz viele Restriktionen wegen der Coronakrise wieder aufgehoben worden. Versammlungen von bis zu 300 Personen sind erlaubt, aber es kam auch zu grossen Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmenden. SRF News hat mit dem Epidemiologen Marcel Salathé gesprochen und wollte wissen, was er von diesen Versammlungen während der abklingenden Epidemie hält.

Marcel Salathé

Professor für Epidemiologie

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Marcel Salathé ist Epidemiologe an der ETH Lausanne (EPFL). Er ist Professor und leitet das Digital Epidemiology Lab an der EPFL. Bis im Februar 2021 war er zudem Mitglied der Covid-Taskforce des Bundes.

SRF News: Am Wochenende hat es grosse Ansammlungen von Menschen gegeben, auch bei Demonstrationen. Mit welchem Gefühl haben Sie diese Bilder gesehen?

Marcel Salathé: Ja, natürlich mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es schön, dass die Leute sich jetzt wieder ausdrücken können und Demonstrationen wieder möglich sind. Andererseits sieht man sehr viele Leute sehr nahe beieinander. Und das ist beunruhigend: so viele Personen ohne Gesichtsmaske. Das besorgt mich eigentlich am meisten.

Was bedeutet das aus epidemiologischer Sicht?

Grundsätzlich wissen wir, dass Übertragungen draussen sehr viel unwahrscheinlicher sind als drinnen. Aber wenn viele Leute sehr nahe beieinander sind und dann auch noch an einer Demonstration, wo man laut sein will, dann kann es ohne Schutzmasken sehr schnell zu Übertragungen kommen.

Sind solche grossen Demonstrationen ein Risiko?

Ja, solche Versammlungen sind ein Risiko. Es geht nicht darum, jedes Risiko zu vermeiden, sondern einfach so gut wie möglich zu minimieren. Dabei wären Schutzmasken angesagt. Ich wünsche mir einfach, dass die Leute sich des Risikos bewusst sind.

Wie gut schützen solche Gesichtsmasken tatsächlich?

Masken geben nie einen absoluten Schutz, aber man weiss aus verschiedenen Studien, dass die Übertragung stark verhindert wird. Deshalb ist sehr zu empfehlen, Masken zu tragen.

Wie beobachten Sie die Situation in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern, was das Tragen von Masken betrifft?

Die Masken-Diskussion ist hier noch ein bisschen verzögert. Es scheint mir, die Leute haben noch Mühe mit Masken. Aber in den USA zum Beispiel sieht man schön, dass jetzt fast alle Leute Masken tragen. Und es wäre schon besser, das auch in der Schweiz zu sehen, gerade wo man sehr nahe zusammen ist.

Wie gefährlich ist das gemeinsame Schreien, etwa an einer Demonstration?

Laut zu sein ist grundsätzlich gefährlich. Denn dabei kommen mehr Tröpfchen mit dem Virus aus dem Rachen und dem Nasenraum, die dann übertragen werden. Man hat das etwa in Studien über den Gesang von Chören gesehen. Darum, wenn man an Demonstrationen laut ist und nahe beieinandersteht, unbedingt Masken tragen.

In dem Zusammenhang taucht auch der Begriff «Superspreader Event» auf. Was ist dabei das besondere Risiko?

Ein «Superspreader Event» ist, wenn eine einzelne Person ganz viele Leute ansteckt. Und wir wissen, dass es bei diesem Virus normal ist, dass die meisten Leute in der Tat wenige andere Personen anstecken, aber einige wenige sehr viele anstecken können. Deshalb ist es insbesondere in Situationen mit vielen Leuten besonders gefährlich. Eine Demonstration könnte ein solcher Event sein. Und da ist der Schutz durch eine Maske besonders angezeigt. Ich hoffe darum, dass sich diese Diskussion in den nächsten Tagen noch ein bisschen verstärkt und man wieder auf die Maske zurückkommt. Man hat ja auch Bilder gesehen, auf denen wirklich verantwortlich mit den Masken umgegangen wird.

Das Gespräch führte Pirmin Roos per Skype.

Tagesschau, 07.06.2020, 19:30 Uhr ; 

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