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Die SVP und ihre Ziele Will sich die SVP gerade neu positionieren?

Parteipräsident Marco Chiesa ist kaum sichtbar, während die SVP die Covid-Massnahmen kritisiert. Was ist ihre Strategie?

Geschäfte und Restaurants sollen sofort wieder geöffnet und der Shutdown somit aufgehoben werden – das verlangte der Parteivorstand der SVP am Freitagabend. Diese Forderungen waren denn auch das Thema an der Delegiertenversammlung der SVP vom Samstag.

Der Bund müsse nun unverzüglich ausreichend Impfstoffe beschaffen, forderte SVP-Parteipräsident Marco Chiesa: «Die Kantone sind bereit, die Bevölkerung zu impfen. Nur fehlt aufgrund der schlampigen Planung des Bundes der nötige Impfstoff.»

«Schlampige Planung und Alain Berset» sei wegen der Folgen der Coronamassnahmen der teuerste Bundesrat, den die Schweiz je gehabt habe, Chiesa führte auch heute weiter, was die SVP seit Monaten macht: Die Coronapolitik scharf kritisieren, den SP-Gesundheitsminister attackieren.

Marco Chiesa ist kaum sichtbar

Politiker und Beobachter fragen sich, wieviel «Marco Chiesa» in dieser Kritik steckt, denn der SVP-Präsident aus dem Tessin wird nicht als präsent wahrgenommen.

So sagt Gerhard Pfister, Präsident von Die Mitte Schweiz: «Ich habe den Eindruck, dass der SVP-Präsident noch etwas Mühe hat, im Sattel zu sitzen, sich wirklich an die Führung dieser Partei zu machen. Man hört ihn zu wenig; man hört sehr viel mehr andere Exponenten der SVP.»

Ähnlicher Meinung ist Grünen-Präsident Balthasar Glättli: «Im Moment besteht die SVP faktisch nur aus Fraktionschef Thomas Aeschi, so wie man es von aussen wahrnehmen kann. Und er nimmt seine Rolle sehr aggressiv wahr.»

Aeschi verbreitet auch schon mal Bundesrats-Interna auf Twitter und reitet bei den Angriffen auf Gesundheitsminister Alain Berset ganz vorne mit. Der Zuger Nationalrat sitzt im Parteileitungsausschuss der SVP, ebenso wie Thomas Matter und Magdalena Martullo-Blocher, die in der Partei ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Chiesa: «Es gibt neun wichtige Stimmen»

Wer also bestimmt nun den Kurs der Partei und wie viel «Chiesa» steckt in der Kritik gegen die Corona-Massnahmen? Er bringe seine Erfahrungen aus dem Tessin mit dem Virus in den Ausschuss. Und er werde nicht dominiert, versichert der Parteipräsident:

«In diesem Gremium gibt es neun wichtige Stimmen, nicht nur eine oder zwei oder drei. Meine Aufgabe ist es, eine Linie zu finden und diese dann zu vertreten. Es gibt nicht ein Mitglied, das wichtiger ist als die anderen.»

Die Linie, die also von allen Mitgliedern des Parteileitungsausschusses bestimmt wird, heisst Corona-Opposition. Es scheint, als hätte die SVP damit ein neues Thema gefunden.

Erfindet sich die Partei gerade neu?

Die Partei, die einst mit Glanzresultaten abräumte, steckt im Formtief. Ihre Themen Migration und EU brennen der Bevölkerung nicht mehr so sehr unter den Nägeln.

Die Partei sei daran, sich neu zu erfinden, glaubt Politologe Claude Longchamp: «Die SVP hat in den letzten Wochen versucht, Kapital daraus zu schlagen, dass niemand wirklich Fundamental-Opposition macht und hat entdeckt, dass es ein neues Thema für oppositionelle Strömungen gibt neben der Zuwanderung und der EU.»

Die Corona-Opposition als Politstrategie, um neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen? Parteipräsident Chiesa winkt ab: «Das wäre zynisch. Wir setzten uns aber ein für die Arbeitsplätze und die Freiheiten, die verloren gingen.»

Zynisch oder nicht, wie man es auch dreht und wendet, letzten Endes muss jeder Parteipräsident dafür sorgen, dass er Abstimmungen und Wahlen gewinnt. Das ist auch bei der SVP nicht anders.

Echo der Zeit, 30.01.2021, 18:00 Uhr

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