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Ein Jahr vor den Wahlen SRG-Wahlbarometer: Grüne verlieren, FDP sitzt der SP im Nacken

  • Ein Jahr vor den nationalen Wahlen bleibt die SVP gemäss SRG-Wahlbarometer mit 26.1 Prozent Wähleranteilen klar stärkste Kraft.
  • Dahinter verzeichnet die FDP Zugewinne gegenüber den Wahlen 2019 und rückt an die SP heran.
  • Die Grünen verlieren den Anschluss an die Mitte-Partei. Die GLP legt markant zu: Die 10-Prozent-Hürde ist in Sichtweite.

Am 22. Oktober 2023 finden die eidgenössischen Wahlen statt – unter Vorzeichen, die «grüner» kaum sein könnten. Der Klimawandel und die Energieversorgung dominieren die Sorgenliste der Wählerinnen und Wähler. Und die aktuelle Krise zeigt, wie sehr die Schweiz vom Import fossiler Energieträger aus dem Ausland abhängig ist.

In grösserem Zuspruch für die Grünen widerspiegelt sich das aber nicht. «Trotz Hitzesommer und Energiekrise scheint die grüne Dynamik an Schwung zu verlieren», bilanziert das Forschungsinstitut Sotomo, das die Umfrage zum SRG-Wahlbarometer durchgeführt hat.

In Zahlen: Holte die Partei bei ihrem Sensationserfolg von 2019 noch 13.2 Prozent Stimmenanteil, sind es jetzt noch 11.7. Ein Grund dafür: Das Klimathema ist bei den Wählerschaften aller Parteien dringlich. «Das bedeutet auch, dass sich alle Parteien der Thematik annehmen und entsprechende Lösungen offerieren», erklärt Sarah Bütikofer von Sotomo.

Die Grünen haben die Deutungshoheit über eines ihrer Kernthemen also ein Stück weit verloren. Gleichzeitig verschreckt der pointiert linke Kurs der Partei offenbar manche Neuwählerinnen und -wähler. «Denn wer nicht links ist, wählt in der Regel nicht grün», sagt Bütikofer. Auch finden satte 42 Prozent der Grünen-Basis, die Partei politisiere zu weit links.

Wer umweltbewusst ist und zur politischen Mitte tendiert, neigt verstärkt den Grünliberalen zu. Mit 1.5 Prozentpunkten verbucht die GLP den grössten Zuwachs an Wählerinnen und Wählern. «Sie bietet aus der politischen Mitte heraus Lösungen in den Bereichen Energie und Klima», so Bütikofer.

Viele der aktuell drängendsten Themen mögen klassisch «grün» sein. Bei genauerer Betrachtung wird das Bild aber vielschichtiger: Denn eine eigentliche «Klimawahl» wie 2019 wird es im kommenden Jahr kaum geben.

Sorgen ums Portemonnaie

Die Versorgungs- und Energiesicherheit treibt derzeit viele Menschen um, befeuert vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dazu schlagen Teuerung und die hohen Krankenkassenprämien aufs Portemonnaie.

«Die Lebenshaltungskosten sind zu einem wichtigen Thema geworden», sagt Michael Hermann, Leiter der Forschungsstelle Sotomo. «Das könnte den Traditionsparteien FDP und SP helfen, die auf Wirtschaft und Soziales setzen und hier punkten könnten.»

GLP und FDP im Hoch, Grüne im Tief: Das sagen die Präsidenten

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Grünen-Präsident Balthasar Glättli: «Vor drei Jahren hatten wir noch einen Monat vor den Wahlen 2.5 Prozentpunkte weniger, als wir am Schluss an der Urne geholt haben. Die Schlussmobilisierung ist entscheidend. Unsere Hauptaufgabe wird es sein, wieder viele Neuwählende zu mobilisieren. Die Generation, die am meisten unter der Klimakatastrophe zu leiden hat und vielleicht noch gar nie abstimmen oder wählen konnte. Das war einer der Gründe, warum wir vor drei Jahren so grosse Gewinne verzeichnen konnten.»

GLP-Präsident Jürg Grossen: «Die GLP gibt die richtigen Antworten auf die Fragen, die die Leute beschäftigen. Das sind Umwelt- und Klimaschutz, Energie-Versorgungssicherheit und Europa. Das merken immer mehr Leute und geben uns ihr Vertrauen. Als jüngste Fraktion im Bundeshaus haben wir den Vorteil, dass wir alle Fragestellungen ohne Dogmen oder Altlasten beurteilen können. Zudem haben die Wählerinnen und Wähler erkannt, dass Klima- und Umweltschutz am besten mit der Wirtschaft und nicht gegen sie funktioniert.»

FDP-Präsident Thierry Burkart: «Als junges, neues Führungsteam haben wir einen liberalen Aufschwung in der Partei verbreiten können. Wir kommunizieren mit klarer Kante. Als Partei sind wir im vergangenen Jahr sehr geschlossen aufgetreten. Das führt dazu, dass man uns klar wahrnimmt. Viele Menschen haben gesehen, dass die liberalen Grundlagen in diesem Land dazu geführt haben, dass es uns gut geht. Diese liberale Basis wollen wir pflegen und sie nicht durch immer mehr Interventionen und Verbote des Staates zerstören lassen.»

Der Abwärtstrend der SP, die bei den Wahlen 2015 noch 18.8 Prozent der Stimmenanteil holte, ist noch nicht durchbrochen. Im aktuellen Wahlbarometer kommt sie auf 16.3 Prozent – 0.5 Prozent weniger als 2019. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Schätzgenauigkeit der Umfrage bei +/- 1.3 Prozentpunkten liegt. Deshalb ist hier bei Interpretationen Zurückhaltung angezeigt.

Die FDP legt einen Prozentpunkt gegenüber den Wahlen 2019 zu. «Das könnte wie bei der GLP damit zusammenhängen, dass in dieser Krisensituation ein Bedürfnis nach gemässigteren Positionen vorhanden ist», so Politologe Hermann.

So werden die Parteispitzen wahrgenommen

Die freisinnige Partei wird demnach zur Alternative für enttäuschte Anhänger und Anhängerinnen der SVP. Diese kompensiert das aber mit Neu- und Nicht-Wählenden und gewinnt 0.5 Prozentpunkte dazu. Die SVP bleibt damit weiter klar stärkste Partei.

Bei der Wählerschaft der Mitte besetzen soziale Sicherheit sowie Krankenkassenkassenprämien zwei der drei ersten Plätze der für den Wahlentscheid relevanten Themen. Für die Mitte wird es im Wahlkampf zentral sein, diese Themen erfolgreich zu besetzen. Derzeit hält sie die Grünen in der Wählergunst auf Abstand und steht bei 13.3 Prozent (-0.5).

Schwingt das Pendel im Parlament um?

Das Erstarken der FDP und das Schwächeln der Grünen könnte auch zu einer Kräfteverschiebung im Parlament führen, schliesst Politologin Bütikofer. «Bei den letzten nationalen Wahlen haben wir eine deutliche Stärkung der Linken beobachtet. Jetzt geht das Pendel wieder etwas in die andere Richtung.»

Insgesamt zeigt sich die Schweizer Politlandschaft aber äusserst stabil – obwohl in den letzten Jahren eine Krise auf die nächste folgte.

Datenerhebung und Stichprobenfehler zur Umfrage

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Die Umfrage für den Wahlbarometer hat das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag der SRG SSR durchgeführt. Die Datenerhebung fand zwischen dem 26. September und dem 7. Oktober 2022 statt und die Befragung erfolgte online. Die Teilnehmenden wurden einerseits über die Webportale der SRG, andererseits via Online-Panel von Sotomo rekrutiert.

Nach der Bereinigung und Kontrolle der Daten konnten die Angaben von 21‘038 Wahlberechtigten für die Auswertung verwendet werden (Deutschschweiz 17‘460, französische Schweiz 3036, italienische Schweiz 542).

Gewichtung der Stichprobe

Da sich die Teilnehmenden der Umfrage selber rekrutieren (sogenanntes Opt-in-Verfahren), ist die Zusammensetzung der Stichprobe nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit. So nehmen typischerweise mehr Männer als Frauen an politischen Umfragen teil. Deshalb gewichtet Sotomo die Antworten statistisch, um den Verzerrungen in der Stichprobe entgegenzuwirken. Die Gewichtung erfolgt mittels IPF-Verfahren (Iterative Proportional Fitting).

Neben räumlichen (Wohnort) und soziodemografischen Gewichtskriterien (Alter, Geschlecht, Bildung) werden auch politische Gewichtungskriterien beigezogen, wie das Stimm- und Wahlverhalten oder die regionale Parteienstruktur.

Schätzgenauigkeit von +/-1.3 Prozentpunkten

Durch die Gewichtung wird eine hohe Repräsentativität für die aktive Stimmbevölkerung erzielt. Der Stichprobenfehler, wie er für Zufallsstichproben berechnet wird, lässt sich nicht direkt auf politisch gewichtete Opt-in-Umfragen übertragen. Die Repräsentativität dieser Befragung ist jedoch vergleichbar mit einer Zufallsstichprobe mit einem Stichprobenfehler von +/-1.3 Prozentpunkten.

Info 3, 26.10.2022, 17 Uhr

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