Allein von den sechs verbleibenden eidgenössischen Vorlagen in diesem Jahr, dreht sich die Hälfte ums Essen oder die Landwirtschaft. Bei der Frage, wie viel die Politik auf unseren Tellern verloren hat, scheiden sich die Geister – das zeigt das Beispiel Luzern.
René Meier ist Chefkoch im Altersheim Dreilinden in Luzern. Meier ist Koch aus Leidenschaft. Früher dirigierte er die Küchenmannschaft in einem Restaurant mit 16 Gault-Millau-Punkten. In die Heim-Küche hat er gewechselt, weil ihm in der Spitzengastronomie Stress und Druck zu gross wurden.
Regional, saisonal, Food-waste – wir machen schon viel.
Aber auch im Betagtenzentrum bleibt sich Meier treu. Er kocht möglichst viel frisch, berücksichtigt Lieferanten aus der Region und hat es im ersten halben Jahr seiner Tätigkeit geschafft, die Essensabfälle um die Hälfte zu reduzieren. «Regional, saisonal, Food-waste reduziert – wir machen schon viel», zählt Meier auf, angesprochen auf eine Volksabstimmung, die am 23. September in der Stadt Luzern ansteht.
Luzern entscheidet über energiesparende Ernährung
Die Stadt soll darauf hinarbeiten, dass sich die Bevölkerung gesünder und umweltfreundlicher ernährt. Dazu gehören auch Informationen darüber, wie man energiesparender essen könnte, indem man etwa auf Fleisch verzichtet.
Eine der Mütter dieser Vorlage ist Meret Schneider. Die 26-jährige Zürcherin, die den Grünen angehört, hat zusammen mit ihrer politischen Bewegung in mehreren Städten Initiativen eingereicht. Ziel der Begehren: Vegane Angebote in städtischen Einrichtungen.
Beim Essen können wir am meisten Energie sparen, wenn wir auf Tierisches verzichten.
Was in Luzern zur Abstimmung kommt ist ein abgeschwächter Gegenvorschlag. Er soll aber, so hofft Meret Schneider, nicht toter Buchstabe bleiben: «Bei einem Ja braucht es eine Informationskampagne und die Stadt muss sich konkrete Massnahmen überlegen, wie sie Energie sparen kann bei der Ernährung.»
Während Grüne und Linke in Luzern den Gegenvorschlag unterstützen, wehren sich die allermeisten Luzerner Gastrobetriebe und Hotels, der Wirtschaftsverband und auch alle bürgerlichen Parteien heftig gegen das Reglement. «Nein zur Bevormundung. Wir entscheiden, was auf unsere Teller kommt», heisst ihr Slogan.
Essgewohnheiten als «Ersatzreligion»
Dass die Auseinandersetzung um das politisch korrekte Essen immer heftiger wird, beobachtet auch Dominik Flammer. Flammer befasst sich seit Jahren mit der Geschichte der Nahrungsproduktion und des Kochens in der Schweiz und ist Autor verschiedenster Bücher zum Thema. Er sagt: «Wir haben heute mehr Zeit, um uns über das Essen Gedanken zu machen. Und wir sind auch empfänglicher für die verschiedensten Ideen, was faires oder politisches gerechtes Essen bedeutet.»
Wir haben heute mehr Zeit, um uns über das Essen Gedanken zu machen.
Zudem hätten wir mit dem Bedeutungsverlust der Religion auch ein Stück weit die Orientierung beim Essen verloren. Zuvor habe nämlich der kirchliche Kalender unsere Essensgewohnheiten entscheidend geprägt, so Flammer. Darum sind für ihn Bewegungen wie Vegetarismus oder veganes Essen gewissermassen Ersatzreligionen.
Für Tier- und Klimaschützerin Meret Schneider ist Fleisch-, Butter- und Eier-Verzicht schlicht ein Gebot der Stunde. Wenn es um Autos oder Gebäude gehe, erlasse der Staat schliesslich auch Energie-Vorschriften. Darum findet sie es logisch, wenn man das auch bei den tierischen Produkten machen würde.
Das Essen ist doch das Highlight in ihrem Tagesablauf.
Chefkoch René Meier dagegen – der für sich in Anspruch nimmt, regional und haushälterisch zu kochen – hat Mühe mit dem Gedanken, den Bewohnern des Betagtenheims Dreilinden viel weniger Fleisch aufzutischen. «Das Essen ist das Highlight im Tagesablauf der alten Leute», betont er. Und fügt nachdenklich an: «Wenn es da nicht mal mehr ein Stückchen Fleisch gibt, ich weiss nicht ...»