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Elektronische Identität E-ID Mit dem anonymen Surfen im Netz könnte es bald vorbei sein

Viele Länder machen Altersverifikation im Netz zur Pflicht. Auch die Schweiz in bestimmten Bereichen. Nicht nur die Gegnerinnen und Gegner der E-ID schauen skeptisch auf diesen Trend.

Seit Grossbritannien im Sommer definitiv eine Altersidentifizierung eingeführt hat, sind viele Netz-Beobachterinnen und -Beobachter beunruhigt. Das anonyme Netz sei am Ende, sagen sie. Das Internet als offener Ort des Austauschs sei akut bedroht.  

Chaos in Grossbritannien

Marcel Waldvogel sieht das auch so. Er war lange Jahre Professor für Informatik in Konstanz und arbeitet heute für einen grossen Schweizer Konzern als IT-Sicherheitsspezialist. Bekannte in Grossbritannien hätten ihm erzählt, dass Chaos herrsche. Man müsse für viele Dienstleistungen neu bei «Identitätsverifikatoren» seine Identitätskarte hochladen, ohne genau abschätzen zu können, wie seriös oder dubios diese Anbieter seien.

Was will der «Online Safety Act» in Grossbritannien?

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Im Zentrum steht der Kinder- und Jugendschutz im Netz. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen vor Pornografie, potenziell schädlichen und nicht altersgerechten Inhalten geschützt werden – Inhalte, die Essstörungen auslösen können, zu einer Selbstverletzung oder gar Selbsttötung führen können. Die Aufzählung der Inhalte, die schädlich sein können, ist breit angelegt. Illegale Inhalte müssen gelöscht werden. Für Kinder potenziell schädliche Inhalte müssen hinter Altersschranken verbannt sein.

Umsetzen müssen die Vorgaben alle Tech-Firmen und Internet-Plattformen, potenziell alle, die in irgendeiner Form Inhalte anbieten. Darunter Social-Media-Anbieter, Suchdienste wie Google, Cloud-Speicher- und Video-Streaming-Anbieter, Foren, Instant-Messenger und Dating-Services.

Das Gesetz trat am 25. Juli 2025 in Kraft. Viele Online-Plattformen haben ab diesem Tag Altersverifikationen eingeführt. Eine einheitliche technische Lösung gibt es nicht.

Der anonyme Besuch auf einer legalen Porno- oder Erotik-Seite ist seither nicht mehr möglich.

Den Firmen drohen hohe Bussen, sollten sie nicht kindgerechte Inhalte ohne Altersschranke anbieten oder löschen.

Gemäss Medienberichten schnellten in den darauf folgenden Tagen die Downloads von VPN-Angeboten hoch. VPN verschleiern den Standort des Nutzers.

Das Gesetz wird von zwei Seiten kritisiert. Kinderschützer sind besorgt, dass die Massnahmen zu wenig weit gehen. Sie fordern ein Mindestalter für den Zugang zu Social Media.

Datenschützerinnen und Netzaktivisten warnen, dass die Anonymität im Netz bedroht sei.

Waldvogels Informationen decken sich mit Medienberichten aus Grossbritannien. So muss bei der Musikplattform Spotify plötzlich das Alter verifiziert werden. Auch Social-Media-Dienste und Diskussionsforen haben Altersabfragen eingeführt. Dies nicht nur bei unverdächtigen Dienstleistungen, sondern auch auf Porno-Seiten.

Das Gesetz sei eingeführt worden, ohne dass man sich überlegt habe, wie man das Problem technisch löse, sagt Waldvogel: «Das ist die dümmste Kombination, die man machen kann.»

Ein Mann gestikuliert auf einer Bühne stehend; hinter ihm sind projeziierte Worte auf einer Leinwwand zu sehen
Legende: Marcel Waldvogel ist IT-Sicherheitsspezialist bei einem grossen Schweizer Unternehmen. Er war zuvor Professor für Informatik an der Universität Konstanz und ist Mitglied der Digitalen Gesellschaft. Im Magazin DNIP («Das Netz ist politisch») schreibt er zu netzpolitischen Themen. Manuel Stagars

Marcel Waldvogel sieht eine Gratwanderung zwischen Kinderschutz und Anonymität. Grundsätzlich bräuchten die Menschen Räume im Netz, wo man Dinge ausprobieren könne, die dann auch wieder vergessen gingen, sagt Waldvogel. «Wir brauchen ein bestimmtes Mass an Anonymität im Netz.»

Technisch schwierige Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen

Auf der anderen Seite stehen die Anliegen des Kinder- und Jugendschutzes. Technisch gesehen sei aber die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen im Netz «extrem schwierig». Es funktioniert eigentlich nur, wenn alle Nutzerinnen und Nutzer ihre Identität preisgeben und ein offizielles Dokument wie ID, Reisepass oder Fahrausweis hochladen.

Grossbritannien ist mit seiner Altersschranke nicht alleine. Auch die EU lässt zurzeit eine Lösung von Mitgliedsstaaten testen. Australien hat eine Altersgrenze ab 16 Jahren für Social Media beschlossen. In der Schweiz soll auf Anfang 2027 eine Online-Altersprüfung für Filme und Games eingeführt werden, möglicherweise basierend auf der E-ID. Eine Altersverifikation ist bereits heute Pflicht im Online-Handel mit Alkohol und Tabak.

Zwei Jugendliche sitzen vor Computerbildschirmen und «gamen».
Legende: Die Schweiz führt auf Anfang 2027 eine Altersüberprüfung für Spiele und Filme ein. Das betrifft auch Streaming-Angebote und Online-Games. Die Branchen arbeiten derzeit an einer technischen Lösung. Basis könnte die E-ID sein. Keystone / ENNIO LEANZA

Waldvogel stimmt also den E-ID-Kritikern grundsätzlich zu, die warnen, das Grundrecht auf Anonymität sei bedroht. Aber: Überraschenderweise unterstützt Waldvogel die E-ID-Pläne des Bundes. Er sagt, die Altersverifikation im Netz sei nicht mehr aufzuhalten. Die E-ID sei ein Fortschritt. Sie erlaube, der Gegenseite nur die wirklich benötigten Informationen weiterzugeben.

E-ID als kleineres Übel

E-ID-Befürworter wie Kritikerinnen sind sich also weitgehend einig. Beide sind beunruhigt über die schwindende Anonymität im Netz. Befürworter setzen auf eine datenschutzfreundliche Umsetzung, quasi als kleineres Übel. Die Gegnerinnen lehnen die Lösung rundweg ab.

Offen bleibt zurzeit, ob sich weltweit eine datensparsame Lösung durchsetzt. Oder ob das Modell Grossbritannien sich durchsetzt – ohne einheitliche technische Lösung. Dann wäre eine Restsubstanz an Anonymität wohl definitiv bedroht.

Echo der Zeit, 4.9.2025, 18:00 Uhr; gast;brus

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