Hunderte Versuche: Seit über 20 Jahren arbeiten Bund und Kantone an der Entwicklung und Einführung der elektronischen Stimmabgabe, dem E-Voting. Bereits im Jahr 2000 gab es erste Versuche. Auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene wurden seither Hunderte Tests durchgeführt. Zum Teil verwendeten Gemeinden und Kantone eigene dafür entwickelte Betriebssysteme. Vor ein paar Jahren war jedoch endgültig Schluss. Das letzte verbliebene Tool wurde nach massiver Kritik eingestellt. Doch Bund und Kantone blieben dran.
Neustart 2023: Der Bund richtete das Projekt E-Voting vor zwei Jahren neu aus. Die Post erarbeitete ein neues System. Mehrere Kantone starteten Versuche mit der neuen Software. Maximal 30 Prozent der Stimmberechtigten können die E-Voting-Anlage dort testen. In Basel-Stadt und im Thurgau sind hauptsächlich Auslandschweizerinnen und -schweizer zugelassen. Auch im Kanton St. Gallen bieten mehrere Gemeinden mit dieser Software E-Voting an. Und seit einem Jahr nutzen interessierte Bürger von sechs Gemeinden im Kanton Graubünden und im Ausland E-Voting.
Noch viel Luft nach oben: Nach ein bis zwei Jahren Testbetrieb haben die Pilotgemeinden in den Kantonen St. Gallen und Graubünden die Obergrenze von 30 Prozent der Stimmberechtigten bei weitem nicht erreicht. In St. Gallen meldeten sich zwischen 2.5 und 15 Prozent für das E-Voting an, weiss Staatssekretär Benedikt van Spyk. «Die Hälfte der Angemeldeten im Inland stimmte dann auch wirklich digital ab.» Die Stimmbeteiligung der Auslandschweizerinnen und -schweizer wiederum sei zwar immer tief. Aber jene, die abstimmten, benutzten mehrheitlich den E-Voting-Kanal.
Tiefe Nutzungszahlen erwartet: E-Voting müsse sich als Stimmkanal noch etablieren, so Staatssekretär van Spyk. «Dafür braucht es Vertrauen in ein System, das über eine lange Zeit gut funktioniert.» Auch das Abstimmen per Brief sei erst nach vielen Jahren etabliert gewesen. Schweizweit werde E-Voting wohl erst in rund zehn Jahren eingeführt. Bald will St. Gallen den E-Kanal allen über 70 Gemeinden im Kanton ermöglichen. Nächstes Jahr soll noch ein E dazu kommen: E-Collecting, das elektronische Sammeln von Unterschriften.
Graubünden will aufstocken: Im Bergkanton beteiligen sich bisher sechs Gemeinden am E-Voting-Versuch. Bis Ende Jahr sollen es rund 20 sein. «Man spürt das Bedürfnis der Bevölkerung für den E-Kanal», sagt Claudia Hartmann von der Staatskanzlei. Auch den politischen Support streicht sie heraus. Die Beteiligung am Versuch entspreche nach einem Jahr den Erwartungen. Zwischen 6 und etwas unter 7 Prozent von den erlaubten 30 Prozent des Elektorats stimmten in den sechs Gemeinden bisher elektronisch ab.
Fehlendes Vertrauen: In St. Gallen und Graubünden sind die Staatskanzleien fest von der sicheren Stimmabgabe mit dem neuen Post-System überzeugt. Doch einige Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind skeptisch. Aus Datenschutzgründen und fehlendem Vertrauen. Auch IT-Expertinnen und -Experten sind kritisch. Etwa Anwalt Martin Steiger, Spezialgebiet Recht im digitalen Raum, sagt: «Man muss letztlich darauf vertrauen, dass beim E-Voting alles seine Ordnung hat.» Abstimmen und Wählen sollten aber nicht Vertrauenssache sein, sondern durch Laien überprüft werden können. Doch das sei nicht möglich. Deshalb rät Martin Steiger: Die Schweiz sollte auf E-Voting verzichten.