Fast alle Corona-Massnahmen werden ab Donnerstag aufgehoben. Bundesrat Alain Berset sagt im SRF-Interview, worauf er sich persönlich am meisten freut, wie sich vulnerable Personen weiter schützen können und welche Bedeutung die Impfung künftig haben wird.
SRF News: Die meisten Massnahmen werden aufgehoben in dieser Nacht. Morgen ist ein Freudentag. Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?
Alain Berset: Es freut mich, jetzt diesen starken Schritt mit dem Ende all dieser Massnahmen zu machen.
Ich habe ein Zertifikat, ich war schon ziemlich viel unterwegs in den letzten Wochen und Monaten.
Aber gibt es etwas, das Sie morgen machen, was Sie wochenlang nicht gemacht haben?
Es macht keinen grossen Unterschied, seien wir ehrlich. Ich habe ein Zertifikat, ich war schon ziemlich viel unterwegs in den letzten Wochen und Monaten. Ich war überall, in Restaurants und Kinos. Die einzige Differenz ist, dass ich jetzt ins Kino gehen kann, ohne mein Zertifikat zu zeigen oder die Maske zu tragen. Aber ich meine, die Entwicklung ist eine gute und das ist sehr positiv.
Die Spitäler wurden nicht überlastet in den letzten Wochen. War es trotzdem richtig, Ungeimpfte vom gesellschaftlichen Leben auszuschliessen?
Wir haben gesehen, dass die nicht immunen Personen ein viel höheres Risiko hatten, mit einer Infektion im Spital zu landen. Und wir haben gesehen, dass die Anzahl Personen in den Intensivstationen ziemlich stark anstieg – es gab 90 bis 95 Prozent ungeimpfte Personen auf den Intensivstationen. Selbstverständlich war es in dieser Situation richtig, zu reagieren.
Um Mitternacht werden praktisch alle Massnahmen aufgehoben. Ist die Pandemie nun zu Ende?
Ich glaube, eine Phase geht zu Ende, das ist eine gute Sache. Aber eine Pandemie ist nur zu Ende, wenn sie überall zu Ende ist. Und das ist bei Weitem nicht der Fall in Europa und auch sonst in der Welt. Aber bei uns, glaube ich, ist die Situation eine gute.
Warum wird eigentlich auch die Maskenpflicht fast überall ausser im ÖV aufgehoben, kann man doch damit auf einfache Weise Risikogruppen weiterhin schützen?
Wir wollen und wir müssen auch die vulnerablen Personen in den nächsten Wochen gut schützen. Deswegen gilt die Maskentragpflicht auch weiter schweizweit in Gesundheitseinrichtungen und auch im ÖV.
Aber sonst nicht. Wieso zum Beispiel nicht in Läden des täglichen Bedarfs?
In Läden kann man zum Beispiel wählen, wann man gehen will. Und man kann den Laden wählen. Und man kann sich die Waren sogar einfach liefern lassen. Man kann online bestellen. Es gibt also Möglichkeiten, die man im ÖV nicht hat. Im ÖV sind Leute, die sich bewegen müssen. Das gilt auch für Leute in den Gesundheitseinrichtungen. Aber auch das wird ein Ende haben. Und es ist auch eine Frage der Eigenverantwortung. Vielleicht werde ich auch in Zukunft in gewissen Situationen nach wie vor eine Maske tragen .
Wo zum Beispiel?
Im ÖV sowieso. Vielleicht auch in Läden, wieso nicht. Das ist dann mein Entscheid, es ist keine Pflicht mehr.
Jetzt wird man einen entspannten Frühling und Sommer haben, so wie letztes Jahr und vorletztes Jahr. Was passiert im Herbst?
Die saisonalen Viren kommen immer im Herbst und im Winter. Das ist längst bekannt. Es gibt zum Beispiel die Grippe. Ich glaube, Corona wird auch bleiben, leider. Das ist einfach die Realität, wir müssen damit leben. Und wir müssen uns für den Herbst vorbereiten. Als vulnerable Person würde ich mich selbstverständlich noch impfen lassen. Und es braucht eine gute Vorbereitung bei den Kantonen.
Die Impfungen spielen weiterhin eine Rolle?
Ja, ziemlich sicher. Denn wir brauchen nach wie vor eine genügende Immunität in der Bevölkerung. Und diese Immunität kommt entweder mit der Impfung oder durch Genesung.
Gewalt, Drohungen, der brutale Druck. (...) Das würde ich sehr gerne nie mehr erleben.
Wird man im Herbst entscheiden, ob man den Leuten eine weitere Booster-Impfung empfiehlt oder nicht?
Ja, die Empfehlungen werden laufend geprüft, abhängig von der Entwicklung. Es wäre für mich keine grosse Überraschung, wenn im Herbst für die vulnerablen Personen eine weitere Impfung empfohlen würde, wie bei der Grippe zum Beispiel. Ich weiss es aber nicht. Das werden die Spezialisten noch anschauen. Aber: Dieses Virus wird so oder so bleiben. Wir müssen das in normalen Abläufen berücksichtigen können. Das bedeutet: Das Epidemiengesetz gilt, die Kantone sind zuständig und wir haben eine gute Vorbereitung, um das bewältigen zu können.
Sie haben zwei Jahre gegen die Pandemie gekämpft. Was war der Tiefpunkt, den Sie wirklich nicht mehr erleben möchten?
Das waren Gewalt, Drohungen oder der brutale Druck. Das habe ich wirklich nicht kommen sehen. Und ehrlich gesagt, ich würde das sehr gerne nie mehr erleben.
Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.