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Alkohol im Detailhandel: Wenn Einkaufen triggert
Aus News Plus vom 08.11.2021. Bild: SRF
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Entscheid mit möglichen Folgen «Als trockener Alkoholiker ist Einkaufen ein Spiessrutenlauf»

Die Migros will Alkohol verkaufen. Für Suchtkranke wäre das schwierig. Ein Betroffener und ein Suchtexperte erzählen.

Es ist noch nicht definitiv entschieden, aber die Detailhändlerin Migros plant, künftig Alkohol zu verkaufen. Bisher hat sie sich von ihren Konkurrenten damit abgehoben, darauf zu verzichten. Davon konnten vor allem Menschen profitieren, die unter einem Suchtproblem leiden.

Einer von ihnen ist Felix. Er ist alkoholkrank und seit mehreren Jahren trocken. Er sagt, für suchtkranke Personen könne ein Einkauf zum Spiessrutenlauf werden. Für ihn besonders schwierig sei es, im Laden am Alkohol vorbeizulaufen.

«Es triggert einen einfach. Man denkt vielleicht zurück, dass es wieder einmal eine Idee wäre, was zu kaufen. Oder bei diesem Sonderangebot müsste man eigentlich zuschlagen. Solche Situationen will man einfach vermeiden.»

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Migros entscheidet über Verkauf von Alkohol
Aus Tagesschau vom 05.11.2021.
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Die Gefahr, getriggert zu werden

Denn, wenn der Alkohol nicht dort sei, sei die Hürde grösser, um rückfällig zu werden und Alkohol zu kaufen. «Es ist ein anderes Einkaufen, vor allem in der Anfangszeit, als ich trocken wurde. Ich musste aufpassen, wo ich durchgehe und wo nicht. Es war ein gezieltes Einkaufen.»

Er habe einen Einkaufszettel geschrieben, um bewusst Abteilungen ausschliessen zu können. Und: Je nach Person bestehe immer die Möglichkeit, auch nach langem Trockensein, jedes Mal beim Einkaufen getriggert zu werden.

Von Triggern spricht auch Domenic Schnoz. Er ist Leiter der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS). «Wenn man eine Abhängigkeit entwickelt hat, dann triggert ein Reiz von einem Suchtmittel immer wieder. Und wenn man daran vorbeiläuft, fällt es umso schwieriger, zu widerstehen.»

Das sogenannte Suchtgedächtnis in unserem Gehirn reagiert extrem stark.
Autor: Domenic Schnoz Leiter, Fachstelle zur Prävention Suchtmittelmissbrauch ZH (ZFPS)

Von solchen Situationen blieben Betroffene in der Migros bisher verschont. Und das sind nicht wenige: «Man geht davon aus, dass wir etwa eine Viertelmillion alkoholabhängige Menschen in der Schweiz haben.» Und ein mitbetroffenes Umfeld: «Wir gehen von etwa 100'000 Kindern in der Schweiz aus, die unter suchtkranken Eltern leiden», sagt Schnoz.

Gewisse Stimmen sagen, es sei nicht die Aufgabe eines Unternehmens, das Suchtproblem der Schweizer Gesellschaft zu lösen. Der Suchtexperte widerspricht. Er findet, als Gesellschaft hätten wir alle eine Verantwortung gegenüber suchtkranken Menschen. «Die Migros ist bisher wirklich rausgestochen. Sie hat ihre soziale Verantwortung höher gewichtet als die Konkurrenz. Daher ist es sehr bedauerlich, dass das jetzt in eine andere Richtung geht.»

Ein Regal in einem Einkaufsladen mit verschiedenen alkoholischen Getränken
Legende: Laut Domenic Schnoz zeigen Studien klar, je verfügbarer und je günstiger eine Substanz, insbesondere Alkohol oder Tabak, in einer Gesellschaft seien, desto mehr Leute entwickeln ein Problem damit. Keystone

«Wenn man ein Alkoholproblem hat, dann sind die Impulse auf das Gehirn sehr stark. Das sogenannte Suchtgedächtnis in unserem Gehirn reagiert extrem stark.» Für solche Menschen sei es umso schwieriger, dieser Versuchung zu widerstehen, so Schnoz. «Darum ist es sehr wichtig, dass man einen Ort hat, wo man quasi diese Reize minimieren kann.»

Die Geschichte von Migros und dem Alkohol

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Legende: Keystone

Die Migros ist in der Medienmitteilung zum aktuellen Entscheid nicht direkt auf die Gründe eingegangen, wieso das Alkoholverbot fallen soll. Sie hebt aber hervor, dass der Entscheid basisdemokratisch gefallen sei.

Die Migros gibt es schon seit 1925. Gegründet hat sie Gottlieb Duttweiler – Übernahme Dutti. Duttweiler war nicht nur Unternehmer, sondern auch Politiker. Und er liess einige seiner Grundsätze in seine Firma fliessen, unter anderem beim Alkohol.

In den Statuten der Migros steht: Es gehöre zu den Migros-Werten, dass sie die Gesundheit der Bevölkerung fördere. Darum gab es bisher auch keinen Alkohol oder Tabak in den Supermarktregalen. Alkohol zerstöre die Gesundheit und führe zu einer Abnahme der Ehre und Lebensfreude, schrieb der Migros-Gründer 1928.

Später äussert er sich pragmatischer. In einem Interview in den 1950er-Jahren sagte Duttweiler, dass er den Alkoholverkauf gar keine so abwegige Idee finde. Er sei nahezu gesteinigt worden, als er die Idee aufbrachte, in der Migros einheimischen Wein anzubieten.

Reize zu minimieren versucht auch Felix. Denn auch nach jahrelanger Alkoholabstinenz sei das Einkaufen noch eine Herausforderung. Unterdessen hat er aber einige Strategien entwickelt. Er gehe, wenn möglich, in dieselbe Verkaufsstelle, wo er seine Schwachpunkte meiden kann: Schnaps- und Weinabteilung und Kühlboxen mit Bier. Aber: «Es ist eine konstante Aufgabe. Je weniger weit man vom Trockensein weg ist, desto schwieriger ist es.»

Alkoholverkauf ist kein definitiver Entscheid

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Die Migros ist als Genossenschaft organisiert. Ihre Mitglieder dürfen mitbestimmen. Es gibt darum nun nochmals Abstimmungen bei den verschiedenen Regionalgenossenschaften. Es kann deshalb auch sein, dass es künftig in gewissen Regionen Alkohol in der Migros gibt und in anderen nicht.

Brauchen Sie Hilfe in Suchtfragen?

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Eine Abhängigkeit von gewissen Substanzen – Medikamenten, Alkohol, Tabak oder illegalen Drogen – ist eine Krankheit, die behandelt werden kann. Auf der folgenden Liste finden Sie eine kleine Auswahl an Institutionen, wo Sie rasch Hilfe erhalten.

Tagesschau, 05.11.2021, 19:30 Uhr;

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