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Erbschaftssteuer-Initiative Erbschaftssteuer: Eine urliberale Idee?

An der Abstimmungsvorlage zur nationalen Erbschaftssteuer scheiden sich die Geister, nicht nur in der Politik. Auch Ökonomen streiten: Für die einen ist die Initiative wirtschaftsfeindlich. Für andere ist sie das Rezept, modernen Erbadel zu verhindern – und damit wahrhaft liberal.

Bild des Wortes Erbschaftssteuer, das mit Buchstabentafeln auf einem Tisch geschrieben steht.
Legende: Nationale Erbschaftssteuer: Ökonomen streiten sich über deren Sinn. Keystone/Symbolbild

20 Prozent Steuern soll der Staat bei allen Erbschaften ab zwei Millionen Franken abzweigen. Das wirke der ungleichen Verteilung der Vermögen in der Schweiz entgegen, sagen die Initianten der Abstimmungsvorlage, die am 14. Juni vors Volk kommt. Ein urliberales Anliegen sei das.

Von der Idee her sei das Vorhaben liberal, bestätigt Georg Kohler. «Jedenfalls gilt, dass die Erbschaftssteuer nicht per se illiberal ist», so der pensionierte Professor für Politische Philosophie der Universität Zürich.

Die Grundidee der Liberalen – Freiheit und Gleichheit jedes Einzelnen, verknüpft mit der Idee eines vernünftigen Rechtsstaates – zielte auf die Abschaffung aller Privilegien.
Autor: Georg Kohler Pensionierter Professor für Politische Philosophie an der Uni Zürich

Denn hohe Erbschaften seien, wie früher, die Privilegien des Adels: Man erwarb sie durch Geburt statt durch eigene Leistung. «Die liberalen Denker brandmarkten das als ungerecht», erklärt Kohler, welcher der FDP nahe steht. «Die Grundidee der Liberalen – Freiheit und Gleichheit jedes Einzelnen, verknüpft mit der Idee eines vernünftigen Rechtsstaates – zielte auf die Abschaffung aller Privilegien.»

Deshalb passe es nicht zu den liberalen Prinzipien, wenn die Kinder reicher Eltern unverdient Millionenvermögen erben, ohne etwas davon an die Allgemeinheit abzugeben, sagt Kohler. Mit gutem Grund also, erheben fast alle Schweizer Kantone seit langer Zeit eine Erbschaftssteuer.

Lange Schweizer Tradition

Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. «In der Schweiz war es über mehr als 100 Jahre völlig normal, dass Söhne und Töchter aus reichen Haushalten im Erbfall auch ihren Beitrag an den Staat leisteten», sagt er. «Vor 15 Jahren wurde das abgeschafft. Jetzt leisten sie gar nichts mehr, das ist ungerecht. Diesen Fehler muss man wieder korrigieren.» Künftig müsse der Bund die direkten Nachkommen beim Erben wieder zur Kasse bitten.

In der Schweiz war es über mehr als 100 Jahre völlig normal, dass Söhne und Töchter aus reichen Haushalten im Erbfall auch ihren Beitrag an den Staat leisteten.
Autor: Daniel Lampart Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes

Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger von der Universität Freiburg widerspricht. Er will an den heutigen, kantonalen Erbschaftssteuern festhalten. Die kantonalen Erbschaftssteuern seien hoch in der Schweiz, sie brächten im internationalen Vergleich sehr viel Geld. «Das ist eine gute Steuer», sagt er. Die nationale Erbschaftssteuer hingegen, sei «eine sehr schlechte Steuer mit grauenhaften Folgen für die Volkswirtschaft.» Laut Eichenberger käme damit unter dem Strich weniger Geld zusammen, als mit der kantonalen Steuer.

Wie kann man nur so viel Ungerechtigkeit produzieren?
Autor: Reiner Eichenberger Wirtschaftsprofessor an der Uni Freiburg

Der Wirtschaftsprofessor stört sich nicht am Prinzip. Vielmehr findet er die praktische Umsetzung dieser neuen, nationalen Steuer verfehlt. Dabei denkt er zum Beispiel an die Ausnahmen und Rabatte für Familienunternehmen. Gerade reiche Familien könnten sie als Schlupfloch missbrauchen, um am Ende gar keine Erbschaftssteuer zu zahlen.

Dass die einen ab zwei Millionen Franken 20 Prozent bezahlen und die anderen, die eine Firma vererben, ab 50 Millionen Franken nur fünf Prozent abgeben, sei ungerecht, findet der Wirtschaftsprofessor. «Wie kann man nur so viel Ungerechtigkeit produzieren?», fragt er.

Existenz von Firmen nicht gefährden

Das sei nicht ungerecht, sondern ganz im Sinne der Schweizer Wirtschaft, kontert Gewerkschaftsökonom Lampart. Den Initianten gehe es doch darum, die Arbeitsplätze bei den Familienunternehmen zu schützen. Darunter befänden sich viele KMU. «Der neue Artikel sagt, dass Firmen durch diese Initiative in ihrer Existenz nicht gefährdet sein sollen.»

Das sei in Fällen sinnvoll, wo es wirklich Probleme gebe, so Lampart. Er spricht von einer Absicherung, sagt aber, dass in der Realität die wenigsten Firmen wirklich in Schwierigkeiten kommen könnten. «Das Parlament wird ein Gesetz erlassen und wir müssen schauen, dass nicht zu grosse Löcher in die Initiative geschlagen werden.»

Wirkung in der Praxis entscheidend

Der Streit der Ökonomen zeigt: Mit der Berufung auf liberale Prinzipien ist es nicht getan. Entscheidend ist die Wirkung in der Praxis. Die Befürworter sind überzeugt, die Reform schaffe grössere Fairness beim Vererben von Millionenvermögen. Die Gegner stellen genau das in Zweifel.

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